PresseBLICK-Rezensionen | "Elektrosmog" |
Im BUND mit geheimnisvollen KräftenBUND, LV Baden-Württemberg (Hg.)ElektrosmogBUND-Themenheft; Vertrieb: BUND-Leserservice, Postfach 111208, 60047 Frankfurt, 60 S., DM 10.- |
Die Debatte um den sogenannten "Elektrosmog" hat sich zum Dauerbrenner entwickelt. Dabei machen zwei Dinge stutzig: Zunächst der Umstand, daß die Frage nach möglichen biologischen Auswirkungen von elektrischen und magnetischen Feldern erst so spät aufgeworfen wurde. Immerhin ist es schon hundert Jahre her, seit die ersten niederfrequenten Wechselströme durch Überlandleitungen und die ersten Botschaften drahtlos durch den "Äther" geschickt wurden. Dennoch wurden den elektrischen und magnetischen Feldern - wenn überhaupt - allenfalls positive Auswirkungen zugeschrieben. So hat schon der alte Bebel ("Die Frau und der Sozialismus") große Hoffnungen auf die Elektro-Agrikultur gesetzt, bei der das Getreide unter einem Geflecht von Hochspannungsleitungen heranwachsen und auf diese Weise Rekordernten erbringen sollte.
Heute, wo die Utopie sich eher als Kassandra kostümiert, irritiert dagegen die Gewißheit, mit der eine neuentstandene Zunft von Bau-, Elektro- oder Geobiologen ihr "j'accuse!" gegen Stromwirtschaft und Funkbetreiber schleudert. Immerhin hat es noch keinen Fall gegeben, in dem ein menschlicher Organismus durch hoch- oder niederfrequente Felder der normalen, alltäglichen Umgebung nachweislich geschädigt worden ist. Die Aufregung um den "Elektrosmog" steht also in einem grotesken Mißverhältnis zu den empirischen Befunden.
Das gilt auch für die vorliegende Schrift. Sie könnte beim unbefangenen Leser geradezu Weltuntergangsstimmung wecken, wenn er alles glaubt, was ihm da über die Bedrohung durch den "Elektrosmog" aufgetischt wird. Die meisten Autoren sind zwar darauf bedacht, sich nicht auf dem falschen Fuß erwischen zu lassen, indem sie in offenen Irrationalismus verfallen. Aber mit Aufklärung haben sie in der Regel nichts am Hut. Die Schrift läßt sich eher als eine Mixtur aus Halb- und Ganzwahrheiten, Suggestionen, Mutmaßungen, Behauptungen, Übertreibungen und purem Unsinn charakterisieren.
Das fängt schon an mit dem Vorwort, in dem der BUND-Vorsitzende Weinzierl schreibt: "Noch kann nicht abgeschätzt werden, ob hier tatsächlich eine Gefahr für Mensch und Natur heraufbeschworen wird, die mit dem atomaren Strahlenrisiko, wenn nicht mit einem Super-GAU vergleichbar ist." - Auch der BUND-Vorsitzende hat also keinerlei Belege für die angeblich schlimmen Auswirkungen des "Elektrosmogs". Dennoch schwadroniert er im selben Atemzug von einem möglichen "Super-GAU" .
Gleich neben Weinzierls Vorwort findet sich ein Text, bei dem nicht ganz klar ist, ob er zu der darunter befindlichen Anzeige für Felder-Meßgeräte gehört oder als Vorwort der Redaktion anzusehen ist. Unter der Überschrift "Elektrosmog integrieren?" liest man: "Angesichts dieser neuen Gefahr scheinen einem fast nur zwei Lösungen möglich zu sein, der schier aussichtslose Kampf für eine elektrosmogfreie Welt oder die Ohnmacht. ... Bekannte, denen wir von unseren Erfahrungen berichteten, fast alle reagierten mit Angst und Abwehr - zu gewaltig scheint ihnen die Thematik. Sie denken an einen Kampf gegen Hochspannungsmasten - schier aussichtslos. Sie denken nicht an Fernseher, Monitor, Rasierer, Haartrockner, Radiowecker..."
Es wird nicht klar, welcher Art die angeblichen "Erfahrungen" sind. Der Text klingt aber, als melde sich irgendeine Selbsthilfegruppe von Kranken zu Wort. Irgendwo ist von "Elektrosensiblen" die Rede. Zum Schluß scheint das Ganze aber doch auf eine Werbung für Felder-Meßgeräte hinauszulaufen. Die frohe Botschaft lautet nämlich: "Es gibt die alltägliche Gefahr, sie ist erkennbar, sie ist auch meßbar und somit vermeidbar. Es ist möglich, diese heikle Thematik in das eigene Leben einfach zu integrieren."
Gut ein Drittel des vorliegenden Heftes besteht aus Anzeigen für mehr oder weniger taugliche Felder-Meßgeräte, Dienstleistungen von "Baubiologen", Schutz vor "Erdstrahlen", Netzfreischalter oder "strahlungsarme Elektroinstallationen" . Auch ein "Rutengänger" macht sich anheischig, "elektrische oder elektromagnetische Störfelder" ausfindig zu machen und erforderlichenfalls durch "Schutz-, Kraft- und Edelsteine" zu sanieren.
Endlich erfährt man auch, wie "Baubiologen" ihre berufliche Qualifikation erlangen können: Durch einen einjährigen "Fernlehrgang" beim "Institut für Baubiologie u. Oekologie" in Neubeuern. Schon 4000 Teilnehmer hätten sich diesem "Selbststudium" unterzogen. Sollte es deswegen auf dem Markt für Baubiologen etwas eng werden, ist der Fernlehrgang aber "auch als besonderes Geschenk nützlich für's ganze Leben". Preise werden nicht genannt.
Von ähnlicher Güte wie die Anzeigen sind die redaktionellen Beiträge. "Jedes Organ weist eine typische Schwingung auf", schreibt der Mediziner Karl-Heinz Braun von Gladiß. "Allerdings ist diese so schwach, daß sie derzeit technisch nicht registriert werden kann." - Demnach besitzt der Verfasser übernatürliche Instrumente, um derartige Schwingungen festzustellen.
Inge Gabriel überrascht mit der Feststellung: "Längst ist erwiesen, daß es in den Wohnungen und auch in der Natur elektromagnetische Felder gibt." - So etwas muß einem im hundertsten Todesjahr von Heinrich Hertz endlich mal gesagt werden! Richtig spannend wird es aber erst, wenn Inge Gabriel vom elektromagnetischen Feld einer Leuchtstoffröhre berichtet, das "eine Wasseraderstrahlung aus der Umgebung angezogen" habe. Da nimmt es dann auch nicht wunder, "daß sich Impulse aus Stromversorgung und Funkbetrieb immer auch im Verhalten und in den Gefühlen auswirken". Namentlich erwähnt sie Kopfschmerzen, Herzrhytmusstörungen, Unruhezustände, Schlafstörungen, Schwäche der Konzentration, Verhaltensveränderungen, Schwindelgefühle, innere Erregung, Ohrenpfeifen, Hörsturz, Depressivität, Gereiztheit, Denkblockaden...
Vermutlich liegt es an solchen Denkblockaden durch elektromagnetische Felder, falls dem Leser auch der daran anschließende Aufsatz von Prof. Eike Georg Hensch vom "Biophysikalischen Forschungsinstitut Nienburg" ziemlich spanisch vorkommen sollte. Prof. Hensch weiß aus der "Erfahrungswissenschaft" - was immer das sein mag - , "daß linkszirkular abstrahlende Schwingungen eine degenerative Wirkung auf biologische System ausüben". Die von vielen "Privatforschern" ermittelten "definierten Wirkungen einzelner Frequenzen auf biologische Systeme" würden leider "üblicherweise in der offiziellen Wissenschaft nicht anerkannt". Sie befänden sich aber in bemerkenswerter Übereinstimmung mit der Auffassung, die "der Arzt Samuel Hahnemann" vertreten habe. Dazu muß man wissen, das dieser Mediziner der Begründer der Homöopathie ist. Vor 200 Jahren hat Hahnemann die These aufgestellt, daß derselbe Stoff, der ein Leiden bewirkt, dieses auch heilen kann, wenn er dem Organismus in praktisch kaum noch nachweisbarer Verdünnung zugeführt wird. Von elektromagnetischen Wellen konnte Hahnemann natürlich noch nichts wissen. Seine Homöopathie paßt aber hervorragend zur Idee des Prof. Hensch, daß jedes elektrische oder magnetische Feld, und liege es unterhalb der Grenze der Nachweisbarkeit, einen positiven oder negativen Einfluß auf die menschliche Gesundheit habe.
Auf der nächsten Seite schockiert das Foto eines Mikrowellenherds mit Totenschädeln. Der Text dazu entstammt einem Buch mit dem Titel "Mikrowellen und Herzinfarkt - Die totgeschwiegene Gefahr". Der Autor heißt Manfred Fritsch und betreibt in Fellbach ein "Institut für baubiologische Anwendungen". Er hält es für erwiesen, "daß Lebensmittel, die in Mikrowellenöfen zubereitet wurden, unmittelbar nach dem Essen ähnliche Veränderungen im Blut auslösen, wie sie bei der Entstehung eines Krebsprozesses zu beobachten sind". Dieser "erschütternde" Befund sei so eindeutig, daß die verantwortlichen Politiker die Mikrowellenherde sofort verbieten müßten. Aber es hört natürlich niemand auf Manfred Fritsch...
Ein weiterer Auszug aus demselben Buch behandelt das RSI-Syndrom. Als "Repetitive Strain Injury" werden von Medizinern Schmerzen bezeichnet, die im Kreuz, im Nacken, in den Schultern, in Armen oder Händen als Folge einseitiger Beanspruchung an typischen Büro-Arbeitsplätzen auftreten. Für Fritsch ist der Fall natürlich klar: "Nur von klein auf gelenktes und konditioniertes Denken kann Wissenschaftler zu dem Schluß kommen lassen, daß die in Europa gewaltig aufkommende Krankheit RSI allein auf eine Überbeanspruchung von Gelenken, Sehnen und Muskeln zurückzuführen ist und nicht auf die direkte Einwirkung von elektromagnetischen Feldern."
Die beiden nächsten Artikel warnen vor den Auswirkungen hochfrequenter Felder. Günter Käs, Professor an der Universität der Bundeswehr München, beschreibt relativ sachlich die befürchteten Risiken von Mobilfunkgeräten. Dubios wirkt dagegen der Aufsatz von Dr. Ing. Wolfgang Volkrodt über "Waldsterben durch Funktürme". Der Autor behauptet, daß gesunde Wälder heute "praktisch nur noch in Tallagen und im Funkschatten der leistungsstarken Sender" anzutreffen seien. Die Funktechnik sei inzwischen in ähnlicher Weise für das Waldsterben verantwortlich wie früher die Schwefeldioxid-Emissionen. Der Artikel mündet in den Hinweis auf ein Feldstärken-Meßgerät der Firma Endotronic, das mit rund 2 500 Mark nur einen Bruchteil jener hochwertigen Geräte koste, die von den Funkbetreibern aus naheliegenden Gründen nicht eingesetzt würden, aber für Privatleute leider praktisch unerschwinglich seien.
Der Autor des nachfolgenden Beitrags, Werner Hengstenberg, vertritt just jene Firma, deren Meßgerät soeben empfohlen wurde. Sein Thema lautet "Unser Haus und Elektrosmog". Erwartungsgemäß ist er der Ansicht, daß von der häuslichen Elektroinstallation prinzipiell ein Gesundheitsrisiko ausgehe. Eine besonders ungünstige Auswirkung auf das Hausklima habe die Aufteilung der drei Drehstrom-Phasen auf die Stromkreise eines Haushalts, um eine gleichmäßige Lastverteilung zu gewährleisten. Zwischen Räumen mit unterschiedlichem Phasen-Anschluß entstünden so "im Feinklima Ausgleichsschwebungen, die je nach Phasenlage und Beaufschlagung mit Oberwellen beider Phasen das Raumklima in beiden Räumen außerordentlich ungünstig beeinflussen können". Zumindest müßten alle "Ruheräume" immer mit derselben Phase versorgt und gegebenfalls zusätzlich durch Netzfreischalter abgesichert werden.
Elektrotechnik oder Hokuspokus? - Der Laie, der bei "Phasenlage" und "Oberwellen" ohnehin nur Bahnhof versteht, wird dies kaum beurteilen können. Um festzustellen, wes Geistes Kind der Verfasser ist, braucht man aber nur die vorletzte Seite aufzuschlagen. Dort findet man, über einer Werbung der Firma "Endotronic" und ebenfalls aus der Feder Hengstenbergs, die "Anzeige eines Elektrosmogopfers". Das wortgewaltige Pamphlet beginnt so: "Bürger wacht auf - Elektrosmog ist die große Pest des 20. Jahrhunderts, niemand ist sicher. Das eigene Heim wird - unbemerkt - zur entsetzlichen Folterkammer. Die Folterknechte sind anerkannte Wissenschaftler, Kaufleute, Politiker, Techniker. - Millionen sind ihnen schon zum Opfer gefallen, weitere auf dem Wege."
Wir wollen unsererseits die Folter nicht auf die Spitze treiben, welche die Lektüre dieses BUND-Heftes bereitet, und auf eine Besprechung des restlichen Inhalts verzichten. Kein Zweifel: Das Produkt besitzt einigen Erkenntniswert. Es offenbart nämlich die enge Verbindung der Elektrosmog-Ängste mit älteren Obsessionen bezüglich "Erdstrahlen", mit Rutengängern, Pendlern und ähnlichem Obskurantismus. Nicht minder demonstriert es, wie diese ideologischen Strömungen mit ganz handfesten materiellen Interessen einhergehen. Ohne die Ängste vor dem "Elektrosmog" würde ein kleines Heer von Bau-, Elektro- und Geobiologen brotlos, die Anbieter von einschlägigen Seminaren könnten dicht machen und etliche Vertreiber von Meßgeräten, strahlungsfreien Leitungen und Netzfreischaltern blieben auf ihrer Ware sitzen. Es hat wohl seinen tieferen Sinn, wenn man in dem vorliegenden Heft oft nicht genau unterscheiden kann, wo die Grenze zwischen redaktionellen Beiträgen und Anzeigen verläuft...
Jener Sache selbst, die mit dem Schlagwort "Elektrosmog" höchst unzureichend und polemisch umrissen wird, erweisen solche Publikationen ein Bärendienst. Sie könnten nämlich, aufgrund ihrer Abstrusität, davon ablenken, daß hier tatsächlich noch Aufklärungsbedarf besteht. Denn selbstverständlich kommt jedem Feld eine energetische Wirkung zu, und es ist wissenschaftlich gesehen durchaus möglich, daß Felder auch unterhalb der thermischen Schwelle eine biologische Wirkung ausüben. Selbst gesundheitliche Risiken lassen sich nicht definitiv ausschließen, obwohl dafür bisher keine Anhaltspunkte vorliegen. Vorläufig läßt sich aber aus wissenschaftlicher Sicht und mit einigermaßen gesundem Menschenverstand soviel sagen, daß jene bislang verkannte Dimension an Gesundheitsgefährdung, wie sie die der BUND-Vorsitzende Weinzierl im Vorwort dieses Pamphlets als "Super-GAU" beschwört, keinesfalls zu erwarten ist. Denn ein Super-GAU, der bislang unentdeckt blieb, wäre schon eine höchst merkwürdige Angelegenheit. Die krampfhaften Versuche, alle möglichen Leiden - von Kopfschmerzen und Depressionen bis hin zu Parkinson und Krebs - auf den angeblichen "Elektrosmog" zurückzuführen, machen die Sache nicht besser. Sie gehören eher in den Bereich der "Cargo-Kult-Wissenschaften", von denen in der nachfolgenden Rezension die Rede ist.
(PB Februar 1994/*leu)