PresseBLICK-Rezensionen | "Elektrosmog" |
Einseitige AuswahlKatalyse e.V.Elektrosmog - Gesundheitsrisiken, Grenzwerte, VerbraucherschutzHeidelberg 1994: Verlag C.F. Müller, 226 S., DM 38.- |
Das Wort "Elektrosmog" im Titel des Buches wird umzuckt von Blitzen, wie man sie als Symbol für Hochspannung kennt. Darunter die Silhouette einer Großstadt. Es sieht fast so aus, als habe ein Bomber seine tödliche Fracht abgeworfen.
Die sieben Autoren - bis auf einen Juristen durchweg Naturwissenschaftler - machen es sich dann aber doch nicht so einfach, wie der Titel vermuten lassen könnte. Das Katalyse-Institut hat den Umwelt- und Verbraucherschutz auf seine Fahnen geschrieben. Vielleicht hat es mit diesem streitbar-parteilichen Blickwinkel zu tun, daß die Autoren manches vage Indiz überinterpretieren und aus der bloßen Möglichkeit einer biologischen Wirkung von Feldern auf den Organismus ein wahrscheinliches oder sogar erwiesenes Gesundheitsrisiko ableiten. Im großen und ganzen wissen sie aber doch zwischen Spekulationen und Tatsachen zu unterscheiden.
Das Buch enthält zunächst eine allgemeinverständliche Einführung in das Gebiet der elektrischen und magnetischen Felder. Anschließend wird die Frage der gesundheitlichen Risiken erörtert. Neue Forschungsergebnisse und Einsichten gibt es nicht. Die Autoren beschränken sich vielmehr auf eine Bestandsaufnahme und Auswertung der bislang vorliegenden Studien, Theorien und Spekulationen. Besondere Aufmerksamkeit schenken sie dabei allen Indizien, die auf eine biologische Langzeitwirkung von hoch- oder niederfrequenten Feldern unterhalb der derzeitigen Grenzwert-Festsetzungen hinzuweisen scheinen. Nach ihrer Überzeugung ist die stark angestiegene Wechselfeld-Belastung des menschlichen Organismus durch die Elektrifizierung "etwas völlig Neues in der Evolutionsgeschichte, an das er sich noch nicht anpassen konnte". Sie glauben hinreichend Hinweise dafür gefunden zu haben, daß auch von den elektrischen und magnetischen Feldern des Alltags ein Risiko ausgehen könne. Sie sehen dieses Risiko in einer diskreten, im einzelnen noch wenig erforschten Wirkung der elektrischen und magnetischen Felder auf den Hormonhaushalt. Eine Schlüsselrolle spiele dabei das Hormon Melatonin, das in der Zirbeldrüse gebildet wird. Normalerweise finde beim Menschen nachts ein ausgeprägter nächtlicher Anstieg des Melatoninspiegels statt. Wenn jedoch elektrische und magnetische Felder während der Nachtruhe im Kopfbereich des Menschen wirkten, werde die Melatonin-Ausschüttung vermindert. Dies führe zu Störungen des Biorhythmus, Schlafstörungen, Müdigkeit, Depressionen und Immunschwäche.
Für weniger wahrscheinlich halten es die Autoren, daß elektrische und magnetische Felder auch die Ursache von Krebs sein könnten. Sie sind aber der Meinung, daß dadurch die Ausbreitung eines Tumors beschleunigt werden könnte. Anstatt "immer neue Studien zum Thema Krebs unter Hochspannungsleitungen durchzuführen". sei es vermutlich aufschlußreicher, epidemiologische Untersuchungen über Depressionen infolge von Hochspannungsleitungen und Elektrogeräten anzustellen.
Ein linearer Zusammenhang zwischen Dosis (induzierter Körperstrom) und biologischer Wirkung, wie ihn das "Körperstromdichtemodell" nahelege, führt nach Ansicht der Autoren in die Irre. Ebensowenig hänge das gesundheitliches Risiko linear von der Frequenz oder Stärke des Feldes ab. Es sei vielmehr an bestimmte "Fenster" im elektromagnetischen Spektrum gekoppelt. Problematisch sei dabei nicht unbedingt das elektromagnetische Feld an sich, sondern dessen Verbindung mit anderen Faktoren.
Unter den verschiedenen biochemischen Spekulationen darüber, wie eine Einwirkung elektrischer und magnetischer Felder auf den Organismus vor sich gehen könnte, finden die Autoren das "Zyklotron-Resonanz-Modell" besonders interessant. Es geht davon aus, daß schwache elektromagnetische Felder ihre biologische Wirkung erst im Zusammenspiel mit dem Erdmagnetfeld entfalten. Dieser Resonanz-Effekt könnte erklären, "wieso Magnetfelder völlig verschiedene Wirkungen auf Zellen ausüben, wenn ihre Form oder Frequenz wechselt."
Die Ansicht, daß hochfrequente Felder unterhalb der Schwelle thermischer Wirkung unbedenklich seien, habe sich als falsch erwiesen. Vor allem bei modulierter Hochfrequenz träten bereits unterhalb dieser Schwelle zahlreiche Effekte mit ausgeprägten Frequenz- und Amplitudenfenstern auf. Derartige "gepulste" Hochfrequenz verwende auch das neue D-Netz für Mobilkommunikation. Es sei nur schwer verständlich, daß das D-Netz bereits eingeführt werde, bevor die möglichen biologischen Auswirkungen auf den Organismus geklärt seien.
Eine der Einwirkungsmöglichkeiten relativ schwacher niederfrequenter oder modulierter hochfrequenter Felder sehen die Autoren im Bereich der Gehirnwellen. Die Frequenzen der Gehirnströme, die über ein EEG-Gerät sichtbar gemacht werden können, lägen in der Regel zwischen 1 und 30 Hertz und könnten mit bestimmten psychischen Zuständen in Verbindung gebracht werden. So lägen sie beim wachen, konzentrierten Menschen zwischen 13 und 30 Hertz ("Beta-Bereich" ) oder würden im Tiefschlaf ("Delta-Bereich") auf 1 bis 3 Hertz absinken. Nun habe sich gezeigt, daß bereits die in der Atmosphäre auftretenden natürlichen Wechselfelder ("Sferics") mit psychischen Veränderungen korrelierten. Daher lasse sich vermuten, daß entsprechende künstliche Felder ebenfalls einen Einfluß auf die Gehirnaktivität ausüben könnten.
Wiederholt geben die Autoren eigene "Katalyse-Empfehlungen". So schlagen sie eine drastische Herabsetzung der Grenzwerte für die Belastung durch elektromagnetische Felder im Alltag vor: Während der Nachtruhe sollen künstliche magnetische Wechselfelder den Wert von 0,2 µT im Mittel nicht überschreiten. Im Tagesverlauf soll das Mittel auf 0,4 µT begrenzt werden. Für elektrische Wechselfelder in Gebäuden sollen entsprechend 10 V/m für die Nacht und 20 V/m für den Tagesverlauf gelten; im Freien 100 V/m bzw. 200 V/m. Etwas höhere Werte sind, wie üblich, für die berufliche Exposition vorgesehen. Durchweg liegen diese Empfehlungen aber um einen Faktor bis zu 25000 unter der derzeit gültigen DIN/VDE-Norm. Sie liegen auch um Größenordnungen unter der DIN/VDE-Vornorm von 1992 oder den Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission (IRPA). Am nächsten kommen sie den Empfehlungen von Baubiogen, die "nur" noch etwa zehnfach niedrigere Grenzwerte fordern.
Die Autoren lassen sich bei solchen Empfehlungen nicht von nachgewiesenen oder wahrscheinlichen Risiken leiten - dieser Nachweis könnte wohl auch ihrer Ansicht nach nicht erbracht werden - , sondern von der Überlegung, daß die Feldstärken im Rahmen des technisch Möglichen vorsorglich auf ein Minimum reduziert werden sollten.
Der Abstand von Wohnräumen zu Hochspannungsleitungen sollte aufgrund dieser Empfehlungen bei 20 kV-Leitungen mindestens 15 bis 80 Meter und bei 380 kV-Leitungen mindestens 40 bis 160 Meter betragen. Der untere Wert gilt dabei als Mindestabstand, bei dessen Unterschreitung nach "wissenschaftlich begründeten Vermutungen" langfristig Gesundheitsbeeinträchtigungen auftreten könnten. Der obere Wert gibt den "Unbedenklichkeitsabstand" an.
Auch politische Forderungen werden erhoben. So verlangen die Autoren, der Bundeswirtschaftsminister möge der Deutschen Elektrotechnischen Kommission (DKE) ihre Autorität in Bezug auf Grenzwertfestsetzungen entziehen. An die Stelle der DKE soll ein "neu zu bildendes, ausgewogen besetztes und fachlich kompetentes Gremium" treten. Die DKE werde nämlich in ihrer derzeitigen Zusammensetzung von den Verursachern elektromagnetischer Felder beherrscht. Damit besäßen Stromversorger und Elektroindustrie den maßgeblichen Einfluß auf die Grenzwertfestsetzung. Dies habe sich beispielsweise 1992 beim Zustandekommen der DIN/VDE-Vornorm 0848 gezeigt, in der die Grenzwerte für allgemein zugängliche Bereiche, die auf Wunsch des Bundesamtes für Strahlenschutz den IRPA-Empfehlungen angepaßt werden sollten, auf Druck der Industrievertreter doch wesentlich höher angesetzt worden seien.
Ein Dorn im Auge ist den Autoren auch die Haltung der IZE zum Thema "Elektrosmog". Stellvertretend für den angeblichen Starrsinn der Stromwirtschaft zitieren sie aus den StromTHEMEN die Feststellung, daß nach dem heutigen Wissensstand eine Gefährdung durch die im Alltag auftretenden Felder nicht gegeben ist.
Eher wie eine Pflichtübung wirkt es dagegen, wenn sich die Autoren von bestimmten Bau- und Elektrobiologen abgrenzen, deren Erkenntnisse "derzeit wissenschaftlich nur ungenügend abgesichert" seien. - Mit diesem milden Urteil läßt sich selbst esoterisch-parapsychologischer Unsinn noch wohlklingend umschreiben...
Das vorliegende Buch hebt sich von einer gewissen "baubiologischen" Literatur vorteilhaft ab, indem es Wissenschaft nicht mit Esoterik verwechselt. Tendenzfrei ist es aber deshalb noch lange nicht. Dies zeigt schon die kritiklose Verwendung des Wortes Elektrosmog: Das englische Kunstwort "smog" setzt sich zusammen aus "smoke" (Rauch) und "fog" (Nebel). Der sogenannte Elektrosmog hat aber weder mit Rauch noch mit Nebel etwas zu tun. Die Verwendung dieses Begriffs unterstellt, daß Felder des Alltags genauso schädlich seien wie der Smog über Großstädten, der erwiesenermaßen schon zahlreiche Opfer gefordert hat. Wer sich also anschickt, "gesundheitliche Risiken des Elektrosmogs" zu untersuchen, setzt das Vorhandenensein jenes Risikos bereits voraus, das er angeblich vorurteilsfrei untersuchen möchte.
Im Sinne dieser "Elektrosmog"-These haben die Autoren die einschlägige Literatur unter die Lupe genommen und jenen Teil fokussiert, aus dem sich Indizien für ein Gesundheitsrisiko durch nieder- oder hochfrequente Felder des Alltags zu ergeben scheinen. Durch die einseitige Auswahl und Verdichtung entsteht beim Leser leicht der Eindruck einer überzeugenden Indizien-Kette, die in Wirklichkeit alles andere als überzeugend ist. - Von der unterschiedlichen Güte des Materials und seiner subjektiven Bewertung durch die Autoren ganz abgesehen.
Ein Buch also, das nicht unkritisch gelesen werden sollte. Wer aber wissen will, was in der Debatte über "Elektrosmog" derzeit an einigermaßen seriösen Argumenten vorgebracht wird, um ein mögliches Gesundheitsrisiko durch elektrische und magnetische Felder des Alltags zu untermauern, findet hier eine ziemlich umfassende Zusammenstellung.
(PB Januar 1994/*leu)