PresseBLICK-Rezensionen | Klima-Problematik |
Die Diskussion um den "Treibhauseffekt" berührt in ganz besonderem Maße die Energiewirtschaft. Denn sie ist es hauptsächlich, die mit der Verbrennung der fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas den CO2-Gehalt der Atmosphäre der Erdatmosphäre erhöht und so den an sich natürlichen und lebensnotwendigen Treibhauseffekt in unkalkulierbarem Maße verstärkt. Technisch praktikable Verfahren zum Einfangen und Unschädlichmachen von CO2 sind bisher nicht in Sicht. Die Nutzung von Sonnenlicht, Wind und Wasserkraft kann die fossilen Energieträger nach dem bisherigen Stand der Technik nicht ersetzen. Die einzige CO2-freie Energiequelle großen Stils bleibt vorläufig die Kernenergie. Sie kommt aber im wesentlichen nur für die Stromerzeugung in Betracht. Und auch in diesem Teilbereich ist sie wegen der radioaktiven Risiken umstritten.
Schon vor rund hundert Jahren hat der schwedische Physiker und Chemiker Arrhenius davor gewarnt, daß die Freisetzung von CO2 durch die Nutzung fossiler Energien eine Verstärkung des natürlichen Treibhauseffekts bewirken und zu weltweiten Klimaänderungen führen könnte. Aber erst 1979 richtete die UN-Weltklimakonferenz einen Appell an alle Nationen der Welt, mögliche "anthropogene" Klimaänderungen nicht nur vorherzusehen, sondern auch zu verhindern. 1985 veröfffentlichte das amerikanische Energieministerium eine Dokumentation zum Treibhauseffekt. 1987 rief der deutsche Bundestag die Enquête-Kommission "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" ins Leben. 1988 sprach die Weltkonferenz "The Changing Atmosphere" in Toronto von einem unkontrollierten Experiment, das die Menschheit mit der Atmosphäre durchführe und dessen Konsequenzen letztlich mit einem Atomkrieg vergleichbar sein könnten. Spätestens seitdem ist der "Treibhauseffekt" in aller Munde. Die Warnungen vor einer "Klimakatastrophe" reißen nicht ab. Die Forderung nach politischem Handeln wird immer lauter. Dennoch sieht es nicht so aus, als ob sich in der nächsten Zeit eine weitere weltweite Zunahme der CO2-Emissionen vermeiden ließe und als ob die Bundesregierung oder die EG-Kommission ihre ehrgeizigen Ziele zur CO2-Verminderung auch nur annähernd erreichen könnten. In dieser Situation werfen ernstzunehmende Stimmen bereits die Frage auf, ob eine Erwärmung des Klimas nicht als das kleinere Übel in Kauf genommen werden müsse gegenüber einem sonst unvermeidlichen Verzicht auf Energieeinsatz, der den Wohlstand der Industrieländer erschüttern und die unterentwickelten Länder zur Hoffnungslosigkeit verdammen würde.
Der Verfasser des vorliegenden Buches hat diese Gesamtproblematik vor Augen, wenn er über das Thema "Klima im Wandel" referiert. Als einer der führenden Fachleute auf dem Gebiet der Klimatologie hält er vieles für Unsinn, was in den Medien über Treibhauseffekt und Ozonloch geschrieben wird. Auch viele Bücher zu diesem Thema seien wissenschaftlich nicht korrekt. Die Vielfalt und Komplexität des Klimageschehens werde häufig unterschätzt. Man gelange leicht zu falschen Schlußfolgerungen, wenn Teilprobleme des Klimageschehens wie Treibhauseffekt und Ozonloch aus dem Zusammenhang gelöst und für sich betrachtet würden. Zum Beispiel sei keineswegs sicher, daß eine Erwärmung des Erdklimas zum Abschmelzen der Polareiskappen und einem entsprechenden Anstieg des Meeresspiegels führen würde. Im Gegenteil: Innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs könnte es über vermehrte Niederschläge sogar zu vermehrter Eisbildung in den Polarzonen kommen. Generell besteht kein einfacher, linearer Zusammenhang zwischen der Emission von CO2 oder anderen Spurengasen, der Verstärkung des Treibhauseffekts und der Erwärmung der Erdatmosphäre.
Die besondere Stärke des Buches liegt darin, daß es den Wandel des Klimas nicht nur im Rahmen der letzten Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte beschreibt. Es holt vielmehr ganz weit aus. Es beginnt bei der Entstehung der Erdatmosphäre und beschreibt den Wandel des Klimas in erdgeschichtlichen Zusammenhängen. So erfährt der Leser - leicht fröstelnd -, daß wir derzeit in einer Eiszeit leben, die vor zwei bis drei Millionen Jahren begonnen hat. Innerhalb dieser Eiszeit gab es wiederum eine ganze Reihe von Kalt- und Warmzeiten. Momentan, d.h. seit etwa 11 000 Jahren, leben wir in einer Warmzeit. Innerhalb dieser Warmzeit war das Klima wiederum keineswegs gleichmäßig, sondern mal kälter oder wärmer. Obwohl diese Schwankungen im langjährigen Mittel nur etwa 1° Celsius ausmachten, hatten sie erhebliche Auswirkungen: So wurden Alpenpässe, die noch Hannibal mit seinen Kriegern und Elefanten im zweiten Punischen Krieg gegen Rom benutzt hatte (218 - 201 v. Chr.), in der kalten Klimaepoche zwischen 500 und 800 n. Chr. unpassierbar. Dann folgte wieder eine wärmere Epoche, die ihren Höhepunkt um das Jahr 1000 erreichte und in der sich der Weinbau bis nach England verbreitete. Gegen Ende des Mittelalters setzte erneut eine kältere Epoche ein, die bis Mitte des vorigen Jahrhunderts dauerte. Von 1861 bis 1990 ist dann die bodennahe Temperatur im langjährigen Mittel wieder um über ein halbes Grad Celsius gestiegen. Anscheinend befinden wir uns gegenwärtig am Beginn einer wärmeren Epoche. Möglicherweise handelt es sich aber auch bereits um die Auswirkungen der vermehrten CO2-Freisetzung aus fossilen Energieträgern, deren massenhafte Nutzung just in diesem Zeitraum einsetzte.
Das Klima ist jedenfalls eine verzwickte Angelegenheit, bei der sich lang-, mittel- und kurzfristige Zyklen überlagern. Es läßt sich auch nicht monokausal festmachen, sondern hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die sich gegenseitig beeinflussen, ohne daß das Resultat unbedingt vorhersehbar wäre. Es gibt deshalb kaum eine exakte Antwort auf die Frage, ob und wieweit der gegenwärtige Temperaturanstieg bereits durch menschlichen Eingriff in die Natur verursacht wurde.
Der Autor ist aber unabhängig von solchen wissenschaftlichen Detail-Schwierigkeiten der Meinung, daß die Warnungen vor einer "anthropogen" bedingten Veränderung des Erdklimas sehr ernst zu nehmen sind. Es unterliege keinem Zweifel, daß CO2 und andere Spurengase den Treibhauseffekt verstärken und daß in der Vergangenheit bereits geringfügige Schwankungen der mittleren Jahrestemperatur gravierende Folgen hatten. Deshalb führe kein Weg an größtmöglichen Anstrengungen zur Verringerung der CO2-Emissionen vorbei: Die Erzeugung und Nutzung von Energie müsse effizienter werden. Der Anteil fossiler Energieträger müsse verringert, der Anteil der erneuerbaren Energien maximal gesteigert und auch die Kernenergie in die Diskussion miteinbezogen werden: Das größere Risiko der Kernenergie müsse in Kauf genommen werden, solange technische Lösungen mit geringerem Risko nicht im gewünschten Umfang zu realisieren seien.
Das Buch informiert hervorragend darüber, wie sich der Wandel des Klimas innerhalb großer Zeiträume vollzogen hat und mit welchen wissenschaftlichen Methoden man diesen Klima-Schwankungen auf die Spur gekommen ist. Es bietet keine Patentrezepte, wie der Verstärkung des Treibhauseffekts Einhalt geboten werden könnte, und keine sicheren Voraussagen, was die Folgen sein werden. Es läßt aber keinen Zweifel daran, daß hier ein Menschheitsproblem aufgeworfen wird und bereits minimale Klima-Schwankungen fatal sein können.
(PB 6/93/*leu)