PresseBLICK-Rezensionen Kernenergie



Jonathan Tennenbaum

Kernenergie - Die weibliche Technik

Wiesbaden 1994: Dr. Böttiger Verlags-GmbH, 394 S., DM 28.80


Wer ein Buch aus dem Dr. Böttiger-Verlag bespricht, muß sich auf einiges gefaßt machen. Wenn er es an der nötigen Ehrerbietung fehlen läßt, kann es ihm ergehen wie dem Rezensenten, der vor einiger Zeit an dieser Stelle zwei Böttiger-Produkte vorstellte, welche die Warnungen vor einer Zunahme des Treibhauseffekts und des Ozonlochs als reine Erfindung und Meinungsmache "entlarvten" (PB 6/93). Der Rezensent war so frei, seine Meinung sehr offen kundzutun und außerdem auf das Umfeld hinzuweisen, dem diese Bücher entstammen: Der Dr. Böttiger-Verlag ist der Hausverlag einer seltsamen Polit-Sekte, die sich früher "Europäische Arbeiter-Partei" (EAP) nannte und neuerdings als "Bürgerrechtsbewegung Solidarität" firmiert. Die in Wiesbaden ansässige Organisation verfügt noch über ein gutes Dutzend andere Etiketten - vom "Schiller-Institut" bis zur Zeitschrift "Fusion", um die krausen Verschwörungstheorien ihres guruähnlichen Gründers Lyndon LaRouche und seiner Gattin Helga Zepp-La Rouche unter die Leute zu bringen.

Einschüchterungsversuche durch Beschwerdebriefe an Spitzenmanager

Nach der damals erschienenen Rezension wurden etliche Spitzenmanager der Energiewirtschaft mit Briefen aus Wiesbaden eingedeckt, in denen sich Herr Dr. Böttiger über die "üble Verleumdung" beschwerte, mit der die IZE seine "Aufklärungsarbeit" behindere. Die Briefe waren teilweise in einem plump anbiedernden Ton gehalten ("Vielleicht erinnern Sie sich noch an unser Treffen in Altötting beim Jubiläum von Pater Pius..."). Überhaupt tat der Schreiber so, als handele es sich bei den Jüngern des Lyndon LaRouche um eine Art Prätorianergarde der Energiewirtschaft, die auf die hinterhältigste Weise aus den eigenen Reihen angegriffen worden sei ("Ich halte es aber für problematisch, wenn die Industrie selbst ihre Totengräber und deren Desinformanten unterhält. Sollte man dort nicht allmählich anfangen, über die bisherigen Freunde und Feinde gewissenhafter nachzudenken?").

Diesen Eindruck einer besonderen Nähe zur Energiewirtschaft und speziell zur Kernenergie will auch das vorliegende Buch erwecken. Der Verfasser leitet das sogenannte Fusions-Energie-Forum (FEF), das vor allem Kernenergieexperten und Energiewirtschaftler im Sinne der LaRouche-Ideologie beeinflussen möchte und die Zeitschrift "Fusion" herausgibt. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, näher auf das vorliegende Buch von Jonathan Tennenbaum einzugehen - auf die Gefahr hin, daß wiederum in einigen EVU die Papierkörbe mit Brandbriefen aus Wiesbaden überschwemmt werden.

Mischung aus Sachlichkeit und Obskurantismus

Hätte es noch einer Bestätigung bedurft, daß es sich bei der Anhängerschaft der Lehren LaRouches um eine fanatische, sektenähnliche Organisation handelt, so hat sie diese Einschüchterungskampagne erbracht. Es ist nun aber keineswegs so, daß den Autoren des Böttiger-Verlags der Fanatismus und Irrationalismus aus jedem Knopfloch lugen würde. In vielen Publikationen findet man vielmehr eine eigenartige Mischung aus Rationalität und Wahn, aus Sachlichkeit und Obskurantismus. Auch das vorliegende Buch zerfällt in Passagen, die völlig vernünftig klingen, und solche, wo man am klaren Verstand des Verfassers zweifeln kann.

Sachlich und vernünftig klingt vor allem, was der Verfasser im größten Teil des Buches über die Verdienste von Frauen an der Kernforschung und der friedlichen Nutzung der Kernenergie schreibt. Es ist sogar nicht ohne Reiz, wie hier in populärwissenschaftlicher Manier die Geschichte der "Atomfrauen" geschildert und mit Auszügen aus Originaldokumenten unterfüttert wird. Neben Marie Curie, ihrer Tochter Irène Joliot-Curie und Lise Meitner tauchen auch weniger bekannte Namen auf wie die von Ida Noddack, Maria Goeppert-Mayer oder Chien-Shing Wu. Wer weiß schon zum Beispiel, daß Enrico Fermi bereits 1934 von der Chemikerin Ida Noddack kritisiert wurde, weil er - der 1942 den ersten Kernreaktor in Gang setzte - damals die Möglichkeit einer Kernspaltung noch ausschloß? Nachdem Otto Hahn und Fritz Strassmann den Nobelpreis für die Entdeckung der Kernspaltung erhalten hatten, warf ihnen Ida Noddack vor, ihre frühere Kritik an Fermi mit Stillschweigen übergangen zu haben. Auch Lise Meitners Anteil an der Entdeckung der Kernspaltung wurde sicher nicht so gewürdigt, wie es im Verhältnis zu den beiden Kollegen angebracht gewesen wäre. Der Anfang ihrer Forschungsarbeit fiel sogar in eine Zeit, als man(n) in Preußen den Frauen noch grundsätzlich den Zutritt zur Universität verwehrte.

Die Geschichte der Kernforschung weist so etliche Begebenheiten auf, die als Material für eine feministische Kritik der "Machophysik" dienen könnten. Aber das ist nicht die eigentliche Stoßrichtung dieses Buches. Unter der modischen Mimikry des Feminismus steuert der Verfasser schon in der Einleitung auf sein eigentliches Ziel zu, das man als Einführung in die Weltsicht der LaRouche-Sekte bezeichnen könnte. Er präsentiert eine Art Potpourri aus Platon, Kepler, Leibniz und Nikolaus von Kues, wonach die Welt von "Harmonien" durchdrungen wird, die sich ebenso im Periodensystem der Elemente ("Musik der Elemente") und im elektromagnetischen Spektrum ("Tonleiter der elektromagnetischen Strahlung") wie in Beethovens Streichquartetten oder in Schillers Versen äußern. Zum Beispiel insistiert er auf Gemeinsamkeiten zwischen dem Makrokosmos des Sonnensystems und dem Mikrokosmos des Atoms: Die planetarischen Krümel des Asteroiden-Gürtels zwischen den großen Planeten des Sonnensystems bilden für ihn das Gegenstück zur Unbeständigkeit der radioaktiven Stoffe im Periodensystem der Elemente. In dem Astronomen Kepler sieht er wegen dessen Überlegungen über eine "Weltharmonik" den "Vorläufer der modernen Quantenphysik". Ebenso wird der Briefwechsel zwischen Leibniz und Newton über die Beschaffenheit der Materie einer sehr eigenwilligen Deutung unterzogen: Demnach wäre Newton eine Art Einflußagent gewesen, der mit seinen wissenschaftlichen Argumenten jenen Teil der englischen Oberschicht vertrat, die an Sklavenhandel und Ausbeutung interessiert war, während Leibniz die Ziele einer menschenfreundlicheren Partei verfocht.

Diese einleitenden Ausführungen sind mit "Wissenschaftliche Ouvertüre" überschrieben - offensichtlich eine Verbeugung vor der geschilderten "Harmonie" des Universums, die zwanglos-zwanghaft die Struktur des Atoms mit Beethovens Neunter verknüpft. Es folgt dann der bereits erwähnte Abriß über die Geschichte der "Atomfrauen", der trotz der überlangen Zitate aus Originaldokumenten größtenteils als gute populärwissenschaftliche Darstellung gelten kann. Etwas befremdlich wirkt hier nur die total euphorische Sichtweise der Kernenergie und die Bagatellisierung von Strahlungsgefahren. Man könnte meinen, daß sich seit den großen Hoffnungen, mit denen vor dreißig bis vierzig Jahren der Einstieg in die friedliche Nutzung der Kernenergie erfolgte, überhaupt nichts verändert habe.

Finstere "Malthusianer" verhindern Einsatz der Kernenergie zur Lösung der Weltprobleme

Dieser geschichtliche Abriß mündet dann aber unversehens in einem bizarren Verschwörungs-Szenario: Für die LaRouche-Jünger liegt nämlich der späteren Neubewertung der Kernenergie in der öffentlichen Meinung eine Verschwörung zugrunde. Wie der Autor im letzten Kapitel wissen läßt, ist die Kernenergie "in den Brennpunkt einer strategischen Auseinandersetzung geraten, welche sich um die ganze zukünftige Entwicklung der Menschheit und nicht zuletzt um die Machtverhältnisse auf diesem Planeten dreht". Die Finsterlinge sind die "Malthusianer", die das Problem der Übervölkerung der Erde durch Nullwachstum, Hunger und Kriege lösen möchten, anstatt auf die Segnungen der Kernenergie zu setzen, die Energie und Wachstum im Überfluß ermöglichen würde. Diese "Malthusianer" setzen alle Hebel in Bewegung, um "den Fortschrittsglauben der Nachkriegszeit wieder zurückzudrehen und eine neumalthusianische Weltordnung einzuleiten".

Einer der wichtigsten "malthusianischen" Dunkelmänner sei der englische Philosoph Bertrand Russell gewesen, der die Ostermärsche gegen die Atomrüstung initiierte und als geistiger Vater der neuen Linken angesehen werden könne. Zu den "prominentesten Drahtziehern" gehöre auch John D. Rockefeller, der mit den Geldern aus seinem Erdölimperium einen Propagandafeldzug zugunsten der neomalthusianischen Wende gestartet habe. Freilich seien Rockefeller und seine Freunde bei den US-Präsidenten Eisenhower und Kennedy auf Ablehnung gestoßen. "Erst nach der Ermordung der beiden Kennedy-Brüder, der Ermordung des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King und letztlich durch den Krieg in Vietnam veränderte sich das geistige Klima in Amerika." - Wer ein bißchen zwischen den Zeilen zu lesen vermag, versteht auf Anhieb, in wessen Auftrag die Mörder gehandelt haben könnten!

Umweltbewegung angeblich fremdgesteuert

So sei es schließlich gekommen, daß Lord Russell und die Rockefellers ihre bösen Pläne verwirklichen konnten - assistiert von der Ford-Foundation, der Umweltorganisation Greenpeace, dem Verbraucheranwalt Ralph Nader, Fiat-Chef Agnelli, dem Club of Rome und einer Reihe weiterer Ränkeschmiede. "Vor diesem Hintergrund schossen 1968-70 Nullwachstum- und Antikernkraftgruppen wie Pilze aus dem Boden, und plötzlich flossen Millionen von Dollar in Umweltorganisationen, die das politische Leben in den USA und Westeuropa nachhaltig beeinflußten." Auch die auf dem politischen Sektor entstehende neue Linke "wurde konsequent in eine technikfeindliche Richtung gelenkt".

Demgegenüber stünden die positiven Kräfte, die weiterhin auf die Ausbreitung der Kernenergie, ungebremstes Bevölkerungswachstum und beschleunigtes Wachstum setzen: Zu ihnen habe Dixy Lee Ray gehört, die Vorsitzende der amerikanischen Atomenergiebehörde AEC, die sich vergebens gegen die Auflösung ihrer Behörde gewehrt habe und ein Opfer des "neumalthusianischen Umschwungs" geworden sei. Die Rolle der "malthusianischen" Intriganten hätten in diesem Fall ihr Vorgänger James R. Schlesinger und US-Außenminister Henry Kissinger gespielt. Für den Verfasser erscheint Dixy Lee Ray damit würdig, in die Reihe der großen "Atomfrauen" wie Marie Curie oder Lise Meitner aufgenommen zu werden.

Zum Schluß taucht noch eine andere weibliche Lichtgestalt auf. Es handelt sich um Helga Zepp, die Gattin von Lyndon LaRouche, die schon auf unzähligen Versammlungen und Pressekonferenzen ihre Auftritte inszeniert hat. Angeblich brachte sie John D. Rockefeller in arge Verlegenheit, als sie ihm 1974 auf einer Pressekonferenz anläßlich der "Weltbevölkerungskonferenz" in Bukarest zurief: "Ich beschuldige Sie, den Tod von Millionen Menschen in der Dritten Welt heraufzubeschwören."

Wer mit LaRouche-Publikationen schon etwas vertraut ist, wird in dem vorliegenden Buch einige Bösewichter vermissen: Etwa die englische Königin, die für den internationalen Drogenhandel verantwortlich sein soll, oder den World Wildlife Fund, der gemeinsamen mit dem Club of Rome ein Attentat auf den Papst verübt habe. Die Ideologie der LaRouche-Sekte ist freilich so verworren, daß sie keine schlüssige Darstellung zuläßt. Ihr einziger verläßlicher Grundzug ist eine Art modernes Manichäertum, das überall einen Kampf zwischen den Kräften des Lichts und den Kräften der Finsternis sieht. Stets vorhanden ist außerdem ein paranoides Beziehungs- und Verschwörungsdenken, das die Rolle der Schurken fast beliebig den Rockefellers, dem CIA, der Queen, dem KGB oder irgendwelchen Umweltorganisationen zuweist.

Die "Malthusianer" - ein Feindbild aus der Rumpelkammer der Sowjetideologie

In den Verlagsanzeigen im Anhang des Buches wird für mehrere Bücher LaRouches geworben, die er zum Teil während seiner "politischen Haft" geschrieben hat. LaRouche mußte nämlich wegen Betrugs und Steuerhinterziehung von 1989 bis 1994 im Gefängnis einsitzen, was er natürlich nur wieder einer besonderen Heimtücke der "malthusianischen" Verschwörer verdankte. Mit dem Slogan "Wir haben das Patentrezept" beteiligten sich seine Wiesbadener Filiale und die deutsche Gattin an den letzten Bundestagswahlen. In den Vereinigten Staaten gilt LaRouche heute als rechtsextremistischer Politiker.

Ursprünglich galt LaRouche jedoch als "Trotzkist" und fand seine Patentrezepte eher auf der linken Seite. Das erklärt vielleicht das kuriose Gerede des Verfassers vom "Malthusianismus" oder "Neumalthusianismus". Der Begriff bezieht sich auf die Theorie des englischen Pfarrers und Ökonomen Thomas Robert Malthus (1766 - 1834), wonach die Bevölkerungszahl in geometrischer Progression zunimmt, während die verfügbare Nahrung nur in arithmetischer Progession wächst, so daß leider Gottes ein Teil der Menschheit verhungern muß. Malthus lehnte deshalb auch soziale Maßnahmen wie die Armenfürsorge als unsinnig ab.

In seinem Buch über "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" (1845) wertete Friedrich Engels die Bevölkerungstheorie von Malthus als "die offenste Kriegserklärung der Bourgeoisie gegen das Proletariat". In der Tat läßt sie sich nicht nur als Beitrag zur klassischen liberalen Ökonomie, sondern auch als Apologie der schreienden sozialen Mißstände beim Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft verstehen. Heute ist der Malthusianismus aber längst Schnee von gestern, genauer vom vorvergangenen Jahrhundert. Er ist gerade noch gut genug, um daraus den "Neomalthusianismus" als begrifflichen Matschball zu formen und denjenigen an den Kopf zu werfen, die für Geburtenkontrolle und "sustainable development" plädieren, weil sie die Ressourcen unseres Planeten nun mal nicht für beliebig vermehrbar halten.

Für Leute, die den Blick ins Außerirdische richten, ist grenzenloses Wachstum natürlich kein Problem. Die LaRouche-Leute sehen in jeglicher Wachstumsbeschränkung Teufelswerk. Sie leben gewissermaßen schon jetzt auf einem anderen Stern - so wie die junge Dame in der Zukunftsvision am Ende des vorliegenden Buches, die der Verfasser vom neueroberten Planeten Mars auf die gute alte Erde zurückblicken läßt...

Aber zurück zum "Malthusianismus": So, wie die LaRouche-Jünger diesen Begriff gebrauchen, ist er nicht mehr als ein Schmähwort. - Und ein ziemlich abgegriffenes hinzu, denn mit diesem Begriff denunzierte die Sowjetpropaganda jahrzehntelang eine angeblich besonders niederträchtige Ideologie des Klassenfeinds, die "eine Verringerung der Masse des für die Imperialisten unerwünschten Teils der Bevölkerung" propagiere. Es scheint, als habe der ehemalige "Trotzkist" LaRouche diesen Pappkameraden aus der Rumpelkammer des "Marxismus-Leninismus" übernommen und für seine Zwecke verwendet. Das wäre nicht ohne Pikanterie, denn neben den Rockefellers, der CIA oder der englischen Königin spielte auch der Kreml in seinem Verschwörungsszenario stets eine unentbehrliche Rolle.

Das vorliegende Buch belegt ein weiteres Mal, daß die Anhänger LaRouches ihre absurden Verschwörungsphantasien gut zu verpacken verstehen. In weiten Teilen liest es sich wie eine populärwissenschaftliche Geschichte der Kernforschung. So erklärt sich wohl auch, daß Publikationen des Böttiger-Verlags immer wieder in einem Umfeld angetroffen und empfohlen werden, wo man dies nicht vermuten würde. Die Umweltorganisation Greenpeace will sie sogar in den Informationszentren von Kernkraftwerken vorgefunden haben. Wenn dies zuträfe, wäre der Sache der Kernenergie von arglosen Bediensteten der Energiewirtschaft ein arger Bärendienst erwiesen worden.

(PB 1/95/*leu)