PresseBLICK-Rezensionen Kernenergie



Peter C. Stichel

Jetzt müssen wir handeln! / Weltenergieversorgung - Bevölkerungsexplosion - Klimakatastrophe

Gütersloh 1991: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 160 S, DM 29.80


Die Angst vor dem Treibhauseffekt könnte der Kernenergie zu neuer Akzeptanz verhelfen. Der Autor des vorliegenden Buches sieht sogar keinen anderen Ausweg. Das heißt nicht, daß er die Möglichkeiten der Energieeinsparung und der regenerativen Energiequellen ignorieren würde. Im Gegenteil: Er rechnet penibel aus, wie groß deren Beitrag zum CO2-freien Energie-Mix der Zukunft sein könnte. Die Rechnung geht aber nicht auf, und so gelangt er zu einem Plädoyer für die weitere und noch breitere Nutzung der Kernenergie.

Der Autor leugnet auch nicht die Risiken der Kernergie. Er hält sie aber unter Abwägung aller Gesichtspunkte für das kleinere Übel. Er macht geltend, daß moderne Druckwasserreaktoren zehnmal so sicher seien wie der Typ Biblis B. Besondere Chancen sieht er für neue, kleinere Reaktoren mit verbesserter "inhärenter" Sicherheit. Seiner Meinung nach könnten diese sogar in der Nähe von Ballungszentren errichtet werden, um zur Fernwärmeversorgung beizutragen oder - als reine Heizreaktoren - Prozeßwärme für die Industrie zu liefern. Für letzteren Zweck eigne sich besonders der HTR-Modul-Typ. Solche Reaktoren könnten auch zur Lösung des Energieproblems der Dritten Welt beitragen. Der Autor hat deshalb kein Verständnis für die Unlust der Energiewirtschaft, neue Reaktoren in Auftrag zu geben: "Voraussetzung für Marktreife ist der Bau und die Erprobung erster Prototypen und Demonstrationsanlagen im Herstellerland, beispielsweise bei uns. Doch unseren kommunalen Versorgungsunternehmen fehlen bisher Weitsicht und Mut, derartige Anlagen zu bestellen."

Das Buch beeindruckt und überzeugt vor allem in seinen ersten Kapiteln: Zunächst schildert Stichel die Probleme der zukünftigen Weltenergieversorgung, die allein aufgrund der Bevölkerungsexplosion in der Dritten Welt und deren wirtschaftlicher Entwicklung existieren. Dann behandelt er den Wirkungszusammenhang zwischen Emissionen und Klimaänderung und zeigt die Größe der sich dadurch ergebenden Herausforderung auf. Ab dem vierten Kapitel, das die Techniken zur Umstrukturierung der Energieversorgung Revue passieren läßt, dürften sich dann aber schnell jene Geister verprellt fühlen, die das Titel-Motto "Jetzt müssen wir handeln" nicht unbedingt als Votum für die Kernenergie interpretiert sehen möchten.

Der Autor hat die zu erwartenden Einwände vorwegnehmen lassen: Das Geleitwort von Günter Altner ist nicht die übliche Paraphrasierung des Inhalts, sondern enthält kritische "Anfragen an ein Konzept, das die Atomenergie aus ihrer Legitimationskrise herauszuführen versucht". Altner stimmt mit Stichel überein, was die Notwendigkeit eines raschen Handelns gegen die drohende Klimakatastrophe und die aus der Bevölkerungsexplosion erwachsenden Energieprobleme angeht. Stichels Plädoyer für die Kernenergie ist ihm jedoch zu einseitig: Er nehme die Risiken nicht ernst genug. Auch vernachlässige er die ungeklärte Situation der Endlagerung, der Weiterverbreitung spaltbaren Materials für kriegerische Zwecke sowie die Schadensträchtigkeit von Kernkraftwerken im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen und Bürgerkriegen. Ferner habe er die kirchlichen Bemühungen um eine weltweite Energiepolitik "nur einseitig aus der Sicht seines Ansatzes" dargestellt.

Unmißverständlich benennt Altner die Gemeinsamkeiten wie den Knackpunkt: "Es ist das Geschenk der öffentlichen energiepolitischen Auseinandersetzung an Politik und Wissenschaft, daß die Forderung nach einer einsparorientierten Energiepolitik von allen Interessengruppen als Fundament einer zukünftigen Weltenergiepolitik begriffen wird. Aber die Meinungen gehen auseinander, wenn der Ersatz der fossilen Energieträger durch nichtfossile betrieben wird."

(PB 2/92/*leu)