PresseBLICK-Rezensionen Erneuerbare Energien



Otfried Wolfrum (Hg.)

Windkraft: Eine Alternative, die keine ist

240 S., DM 14.-, Zweitausendeins 1997


Windkraftanlagen erfreuten sich in den letzten Jahren großer Sympathien. Wo immer eine solche Anlage errichtet wurde, waren die Medien zur Stelle, um vorzurechnen, wieviele Haushalte künftig mit umweltfreundlich erzeugtem Strom versorgt werden könnten.

Nur die Stromversorger wollten nicht so recht in den Jubel miteinstimmen: Sie kannten sich zu gut in dem Geschäft aus, um einen Windkonverter mit einem Großkraftwerk zu verwechseln. So bräuchte man tausend Windkraftanlagen der 600-kW-Klasse, um auf die Leistung eines einzigen Kohleblocks zu kommen. Und auch dann würde der Kohleblock noch lange nicht ersetzt, weil die volle Leistung einer Windkraftanlage nur unter günstigen Umständen zur Verfügung steht und sie ihren Strom nun mal unabhängig vom Bedarf produziert - von anderen Problemen wie Beeinträchtigungen der Spannungsqualität oder kostspieligen Erweiterungen des Mittelspannungsnetzes ganz abgesehen.

Der politische Wille, die erneuerbaren Energien aus ihrem Dornröschenschlaf wachzuküssen, war aber stärker als alle technischen und betriebswirtschaftlichen Bedenken. Das 1990 erlassene Stromeinspeisungsgesetz verpflichtete die Stromversorger, die entsprechenden Anlagen privater Betreiber zu subventionieren, indem sie den eingespeisten Strom weit über seinem tatsächlichen Wert vergüten. Für Strom aus Wind und Sonnenenergie werden derzeit 17,15 Pfennig pro Kilowattstunde bezahlt.

Boom wird zum Bumerang

Das politische Kalkül ging insofern auf, als seitdem die Windkraftanlagen privater Betreiber nur so aus dem Boden schossen. Von 1990 bis 1997 hat sich die Zahl der Anlagen annähernd verzehnfacht. Ihre Nennleistung stieg sogar um das achtzehnfache. Im laufenden Jahr liegt die durchschnittliche Nennleistung neu installierter Anlagen bei 600 Kilowatt gegenüber weniger als 200 Kilowatt bei Inkrafttreten des Stromeinspeisungsgesetzes. Ein Fünftel der neu installierten Leistung entfällt mittlerweile sogar auf Anlagen im Megawatt-Bereich.

Inzwischen sieht es aber ganz danach aus, als würde aus dem Boom ein Bumerang, der mit fataler Eigengesetzlichkeit der Windkraft-Lobby an den Kopf fliegt: In den Jubel, der anfangs unisono die Errichtung solcher Anlagen begleitete, mischt sich zunehmend die Wehklage über die "Verspargelung" der Landschaft. Der schärfste Gegenwind kommt von betroffenen Anwohnern, die um Lebensqualität und sogar Gesundheit bangen, weil sie den Lärm, die optische Unruhe durch die ständige Drehbewegung, die Lichtreflexe oder den Schattenwurf der Rotoren nicht mehr ertragen können. Aber auch Umwelt- und Naturschützer machen mobil, weil sie die Kulturlandschaft oder das Leben von Vögeln gefährdet sehen. Und manchem Kommunalpolitiker schwant, daß die Förderung der Windenergie zum Tiefschlag gegen den Fremdenverkehr werden könnte, wenn die Abneigung weiter um sich greift. Die Erbauer und Betreiber berufen sich zwar gern auf eine Umfrage, wonach Anwohner und Touristen solche Anlagen eher als Bereicherung empfinden. Diese Umfrage ist aber schon etliche Jahre alt und verdeutlicht nur, wie sehr sich seitdem die Einstellung gewandelt hat.

Polemik mit Sachverstand

Der Herausgeber des vorliegenden Buches hat selber täglich drei Windkraftanlagen vor Augen, wenn er von seinem Haus in Modautal auf die Höhen des nördlichen Odenwalds blickt. Diese persönliche Betroffenheit ist dem Buch anzumerken, auch wenn er sie nicht erwähnt. Es geht ihm aber nicht um eine persönliche Abrechnung. Und schon gar nicht kämpft hier ein moderner Don Quichotte gegen Windmühlenflügel. Was er und seine Mitverfasser gegen die Nutzung der Windenergie vorbringen, zeugt vielmehr - bei aller Polemik - von großer Sachkenntnis. Als Ingenieur, Biologe oder Jurist verfügen sie auch über einen adäquaten beruflichen Hintergrund, um sich kompetent mit der "Verspargelung" der Landschaft auseinanderzusetzen.

Der Herausgeber Otfried Wolfrum (Prof. Dr. Ing.) lehrt Vermesssungstechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Außer Vorwort, Einleitung und Ausblick hat er die beiden ersten Kapitel des Buches beigesteuert. Er geht darin der Frage nach, welche Bedeutung die Windenergie zur Energieversorgung Deutschlands und zur Vermeidung einer Klimakatastrophe leisten kann. Die Antworten fallen sehr ernüchternd aus. Wollte man alle geeigneten Flächen so dicht wie möglich mit Windkraftanlagen besetzen, könnte man damit, einem Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge, rund zwölf Prozent des deutschen Strombedarfs decken. Es wäre aber absurd - so Wolfrum - dieses technische Potential mit dem realisierbaren Potential zu verwechseln. Weder wären die Kommunen bereit, ihren gesamten beplanbaren Außenbreich der Windindustrie zu überlassen, noch würde eine derartige Häufung von Windkraftanlagen von der Bevölkerung toleriert. Schon jetzt stoße die Toleranz an Grenzen. Dabei liefere die Windkraft - trotz eines weltweit einmaligen Ausbaues - derzeit gerade mal vier Promillle unseres Strombedarfs. Lege man den Verbrauch an Endenergie zugrunde, an dem Strom nur zu einem Fünftel beteiligt ist, reduziere sich ihr Anteil sogar auf 0,8 Promille.

Entsprechend gering sei der Beitrag, den die Windenergie zur Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen leisten könne. Derzeit helfe sie gerade mal, 1,5 Promille der Gesamtemissionen zu vermeiden. Wenn die Windkraft-Lobby zusätzlich zum Treibhauseffekt auch noch die Risiken der Kernenergie ins Spiel bringe, um den Ausbau der Windenergie als wünschenswert erscheinen zu lassen, sei dies entweder "Ignoranz oder Infamie": Wegen der geringen Energiedichte und mangelnden Verfügbarkeit werde die Windkraft in Deutschland nie auch nur ein einziges Kernkraftwerk ersetzen können.

Schon 1990, als das Stromeinspeisungsgesetz beschlossen wurde, hätte man von den USA lernen können, daß der forcierte Ausbau der Windenergie auf den Holzweg führt: Die kalifornischen Einspeisungsrichtlinien von 1982, die zehn Jahre lang die feste Abnahme und einträgliche Vergütung von Windstrom garantierten, seien schon 1985 wieder außer Kraft gesetzt worden. In den USA würden inzwischen kaum noch Windkraftanlagen errichtet. Die kalifornische Windindustrie sei nach der Streichung der Subventionen zusammengebrochen.

Hans Ernst (Dipl.-Ing., Dipl. Volkswirt, Dr. techn.) erörtert die Frage, was der Strom aus Windkraftanlagen kostet und was er tatsächlich wert ist. Die gesetzliche Mindestvergütung von derzeit 17,15 Pfennig pro Kilowattstunde übersteige deutlich die Kosten der Windstromerzeugung in günstigen Lagen. Ein ganzer Katalog von Fördermaßnahmen trage ebenfalls dazu bei, daß sich in günstigen Windregionen Renditen bis zu 9 Pfennig pro Kilowattstunde ergäben. Da Windstrom im wesentlichen nur Brennstoffkosten sparen helfe, werde er durch das Stromeinspeisungsgesetz um mindestens 8 Pfennig pro Kilowattstunde zu hoch bewertet und entgolten.

Unerkannte Risiken durch Infraschall?

Walter Niemand (Dipl.-Ing.) macht auf die Lärmentwicklung der Anlagen aufmerksam. Die üblichen Methoden der Schallmessung böten Spielraum für allerlei Manipulationen und seien nicht geeignet, die tatsächliche Lärmbelästigung zu ermitteln. Eine viel zu wenig beachtete Gefahr gehe vom Infraschall der Anlagen aus, der mit Frequenzen unterhalb 20 Hertz für den Menschen ebensowenig hörbar ist wie Ultraschall (über 20 000 Hertz), aber sehr wohl das körperlich-seelische Wohlbefinden beeinträchtigen könne. Die neue Megawatt-Klasse werde die Intensität dieser Infraschall-Abstrahlungen erheblich erhöhen.

Ulrich Filbrandt (Dipl.-Biologe) zeigt anhand mehrere Beispiele, wie die Errichtung von Windparks mit Vogel-, Natur-und Landschaftsschutz kollidiert. "Flächen mit herausragender faunistischer und landschaftlicher Bedeutung können nicht Windenergieanlagen aufnehmen, ohne daß Naturhaushalt und Landschaftsbild erheblich darunter leiden". Die Anfang des Jahres in Kraft getretene Privilegierung von Windenergieanlagen im Baugesetzbuch werde die Lage weiter verschärfen.

Rechtsanwalt Thomas Mock gibt Hinweise, wie sich Kommunen und einzelne Betroffene auf dem Rechtsweg gegen Windkraftanlagen zur Wehr setzen können. Die Privilegierung von Windkraftanlagen im Außenbereich sei ein Muster dafür, wie ohne Not eine Gesetzesänderung erfolgte und wie man dem Druck der Windkraft-Lobby nachgegeben habe, weil "alle Parteien glaubten, mit diesem Mainstream-Thema nichts falsch zu machen und zugleich ihre Klientel beruhigen zu können".

Alles in allem entpuppe sich die Windenergie als "illusionärer Schwindel", meinte Otfried Wolfrum zum Schluß des Buches: "Man packt die Bürgerinnen und Bürger bei ihrem schlechten ökologischen Gewissen, um Geschäfte machen zu können." Hinter der rabiaten Umformung unserer Lebensräume und Landschaften stecke kein energiepolitisches Konzept, sondern Profitsucht, die naives Wunschdenken auf Kosten der Allgemeinheit zu Geld machen wolle. Um dies zu verhindern, müsse der Gesetzgeber bei kommenden Novellierungen des Einspeisegesetzes die Vergütungen für Windstrom zumindest auf das Niveau der freiwilligen Verbändevereinbarung senken.

Das Buch erschien im Buchvertrieb Zweitausendeins, der eigentlich kein Verlag ist, aber sein Sortiment an Büchern, CDs und Videos immer wieder mit auflagenstarken eigenen Editionen anreichert. Wie das gesamte Angebot ist auch dieses Buch ausschließlich per Versand bei der Frankfurter Zentrale oder in den firmeneigenen Läden in elf deutschen Großstädten erhältlich.

Zweitausendeins gilt als ökologisch engagiertes Unternehmen und hat mit seinen eigenen Editionen schon öfter ein bemerkenswertes Gespür für Trends gezeigt: Beispielsweise in den achtziger Jahren mit der 1300 Seiten starken Kampfschrift "Friedlich in die Katastrophe" von Holger Strohm und anderen Handbüchern für Kernkraftgegner. Auch die voluminöse Umwelt-Studie "Global 2000" wurde von Zweitausendeins in etlichen hunderttausend Exemplaren unters Volk gebracht. Wenn ein solches Unternehmen nunmehr einen Frontalangriff auf die Windkraft-Lobby herausbringt, zeigt dies deutlich, wie sehr sich der Wind zu drehen beginnt und denjenigen ins Gesicht bläst, die mit Umwelt-Argumenten die weitere Subventionierung der Windenergie zu rechtfertigen versuchen.

(PB 11/97/*leu)