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(Aus: Udo Leuschner, „Kurzschluß - wie unsere Stromversorgung teurer und schlechter wurde“, S. 232 - 238)

 

Ein bißchen Rambo – ein bißchen Idi Amin


Der EnBW-Manager Utz Claassen verkörpert einen neuen Typ des Energiemanagers – mit allen Schattenseiten

 


Im Juli 2005 wurde EnBW-Chef Claassen vom Kreml mit dem „Kreuz des Ordens des Heiligen Nikolaus“ ausgezeichnet. Hier posiert er stolz mit seiner neuen Würde neben dem russischen Botschafter Vladimir V. Kotenev.

EnBW-Pressebild


Parteibuch-Inhaber auf dem Chefsessel von Stromunternehmen verschwanden zu Beginn des neuen Jahrtausends weitgehend und fristeten nur noch auf der kommunalen Ebene ein bescheidenes Dasein. Zumindest wurde das Parteibuch nicht mehr bekannt und spielte keine Rolle mehr. Dafür sorgte die neue Struktur des privatisierten Eigentümerkreises, der nur auf Rendite bedacht war. Dem Paradigmawechsel zum „Shareholder value“ konnten sich selbst die Aktionäre der öffentlichen Hand nicht entziehen. Dies läßt sich ebenfalls am Beispiel der Energie Baden-Württemberg (EnBW) zeigen, deren Großaktionäre weiterhin eine Reihe schwäbischer Kommunen und der französische Staatskonzern EDF waren.

Der neue EnBW-Chef Utz Claassen, der am 1. Mai 2003 die Nachfolge des CDU-Politikers Gerhard Goll antrat, verdankte seine Berufung einem Kompromiß zwischen kommunalen Aktionären (OEW) und der gleichstarken EDF. Die Franzosen wollten ursprünglich den freiwerdenden Posten Golls mit einem Mann aus dem eigenen Haus besetzen. Da man sich auch auf einen anderen Nachfolger aus dem EnBW-Management nicht einigen konnte, folgten die beiden Großaktionäre der Empfehlung eines Personalberaters und nahmen einen Außenstehenden – eben Utz Claassen, der sich zuvor als Sanierer des Meßgeräte- und Wagenherstellers Sartorius empfohlen hatte.

Claassen schien den Erwartungen an einen reinen Manager zu entsprechen, denn er enthüllte gleich bei seinem Amtsantritt eine beträchtliche Schieflage des Unternehmens, die er mit einem Investitionsstopp, forciertem Verkauf von Beteiligungen und Abbau von Personal zu beseitigen gedachte. Mehr oder weniger deutlich machte er für das Fiasko seinen Vorgänger Goll verantwortlich, gegen den aufgrund einer von den „Grünen“ erstatteten Strafanzeige nun sogar die Staatsanwaltschaft wegen Bilanzverschleierung ermittelte.

Doch bald stellte sich heraus, daß auch Claassen nicht gerade eine Lichtgestalt des Managements war. Es fing damit an, daß er den Finanzvorstand Bernd Balzereit verabschiedete, der erst vor einem Jahr von der Berliner Bewag zur EnBW gewechselt war und schon deshalb nicht für Golls Sünden verantwortlich gemacht werden konnte. Indem Claassen selber das Finanzressort übernahm, entledigte er sich des einzigen Vorstandsmitglieds, das wirklich beurteilen konnte, wieweit die düster gezeichnete Lage tatsächlich zutraf oder vielleicht nur Stimmungsmache war, um den neuen Chef in umso hellerem Glanz erscheinen zu lassen und die Belegschaft für Personalabbau, Arbeitszeitverlängerung und sonstige Zumutungen weichzukneten.

„Den einstmals guten Ruf der EnBW ruiniert“

Der „Arbeitskreis Energie“ der EnBW-Betriebsräte veröffentlichte im Oktober 2003 einen Offenen Brief, in dem er dem neuen Chef vorwarf, das Unternehmen schlecht zu reden und „unseriöse Spielereien mit den EnBW-Bilanzzahlen“ zu betreiben. Claassen verbreite „Angst und Schrecken unter Mitarbeitern und Führungskräften“. Die geplanten Einsparungen bedeuteten den Abbau von mehreren tausend Arbeitsplätzen und für viele Kollegen die Absenkung der Einkommen auf ein existenzgefährdendes Niveau. „Wir sind beschämt, schockiert und wütend, wie der einstmals gute Ruf der EnBW ruiniert worden ist“, hieß es in dem Brief.

Den von Goll geförderten „Yello“-Vertriebschef Zerr feuerte Claassen bereits ein Vierteljahr nach dem Abgang des Gönners: Zerr hatte sich erlaubt, anderer Meinung als der neue Vorstandsvorsitzende zu sein. Claassen schickte ihn sofort in Zwangsurlaub.

Im Juli 2004 entließ Claassen den technischen Leiter des Kernkraftwerks Neckarwestheim, Eberhard Grauf, nachdem dieser scharfe Kritik am Sicherheitsmanagement der EnBW geübt hatte. Zudem ließ er den Geschaßten auch noch durch Detektive überwachen, und zwar so auffällig, als ob es eher um Einschüchterung als um Bespitzelung gegangen wäre.

Claassen brüskiert Minister und erzwingt die Entlassung eines alten Intimfeinds

Nicht nur Mitarbeiter litten unter den rüden Manieren des neuen Chefs, den zwar ein Professor-Titel schmückte, dem aber die feine akademische Art gänzlich abging. Im Oktober 2004 legte sich Claassen sogar mit dem baden-württembergischen Wirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Ernst Pfister (FDP) an, weil dieser sich eine kritische Nachfrage zum neuen Sicherheitskonzept der EnBW für die Kernkraftwerke erlaubt hatte: Anlaß war Claassens Drohung, jeden zu entlassen, „der bei den Abläufen und im Kommunikationsverhalten seiner Verantwortung nicht gerecht wird“. Der Minister gab deshalb zu bedenken, ob es das Sicherheitsmanagement nicht eher gefährde als fördere, wenn man die EnBW-Beschäftigten derart einschüchtere und in Kündigungsangst versetze.

Claassen würdigte die Bedenken des Ministers, der immerhin die atomrechtliche Genehmigungsbehörde vertrat, zunächst keiner Antwort. Über Presseberichte ließ er aber wissen, daß im Hause Pfisters „Chaos“ und „wenig Professionalität“ am Werk sei. Überhaupt gehe es hier um ein „intellektuelles Verständnisproblem“.

Eigentlich hätte sich Claassen längst selber entlassen müssen, denn daß er „im Kommunikationsverhalten seiner Verantwortung nicht gerecht“ wurde, war inzwischen offensichtlich. Er benahm sich wie ein Elefant im Porzellanladen. Davor bewahrten ihn auch die Kommunikationsspezialisten nicht, die er für viel Geld angeheuert hatte.

Anfang 2005 nötigte die EnBW unter Androhung des Sponsoring-Entzugs den Karlsruher Sportclub (KSC), seinen neuen Cheftrainer Reinhold Fanz zu entlassen. Claassen hatte nämlich als ehemaliger Präsident des Fußballclubs Hannover 96 nicht vergessen, wie ihm Fanz vor sieben Jahren als Trainer dieses Clubs öffentlich sämtlichen Fußball-Sachverstand abgesprochen hatte.

Die Politik könne es nicht kritiklos hinnehmen, wie Claassen mit seinem Verhalten das Image des Stromversorgers ramponiere, erklärte daraufhin der Vorsitzende der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU Baden-Württemberg, der Singener Oberbürgermeister Andreas Renner. Die Einmischung Claassens als Sponsor in sportliche Entscheidungen eines Vereins sei „der Gipfel“ und ein „einmaliger Eklat im deutschen Profi-Fußball“. Aber auch in seinem Umgang mit Städten, Gemeinden und dem Land habe sich Claassen wiederholt als „Rambo unter den deutschen Managern“ gezeigt.

Claassen drohte dem Kritiker umgehend mit einer Klage auf Schadenersatz wegen Rufs- und Geschäftsschädigung – gerade so, als ob er seinen Ruf nicht selber ramponiert hätte. Zugleich ließ er eine Erklärung veröffentlichen, in der sich der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Peter Neubrand und dessen Stellvertreter Rolf Koch in devoter Manier gegen die „dreiste und unbegründete“ Kritik an „Prof. Claassen“ verwahrten. Der von der EnBW-Pressemitteilung suggerierte Eindruck, Neubrand und Koch sprächen als „Arbeitnehmervertreter und Betriebsräte“ für die gesamte Belegschaft, traf allerdings nicht zu. Die beiden Aufsichtsratsmitglieder hatten ihr Papier ohne Rücksprache mit den Betriebsräten verfaßt, die diese Schützenhilfe für Claassen vielmehr heftig kritisierten und Neubrand mit großer Mehrheit das Mißtrauen aussprachen.

Bizarrer Prozeß um Vergleich mit Idi Amin

Zum Ruf eines „Rambo unter den deutschen Managern“ trug auch bei, wie Claassen mit den teuer eingekauften Stadtwerken Düsseldorf umsprang. Der Düsseldorfer Aufsichtsratsvorsitzende Hans-Otto Christiansen, der im November 2004 auf Betreiben der EnBW abgewählt wurde, fühlte sich durch Claassens Auftreten gar an den blutrünstigen Tyrannen Idi Amin erinnert. Obwohl sein Vorwurf, der EnBW-Chef trete auf „wie Idi Amin, mit einem Messer zwischen den Zähnen, und das Blut laufe an den Mundwinkeln herunter“, sicher nur metaphorisch gemeint war, klagte Claassen allen Ernstes auf Unterlassung dieses bildhaften Vergleichs.

Möglicherweise dämmerte dem EnBW-Chef inzwischen, daß er sich als Rambo und Idi Amin der deutschen Energiewirtschaft sogar bei den eigenen Aktionären unbeliebt machen könnte. Das hätte ihn nun wahrlich empfindlich getroffen, denn allein im Jahr 2004 erhielt er für seine Tätigkeit 4,17 Millionen Euro. Dabei betrug das fixe Gehalt des EnBW-Chefs „nur“ 733 000 Euro. Die übrigen 3,4 Millionen von Claassens Rekordeinkünften entstammten einer variablen Vergütung, die Anfang März vom Aufsichtsratsausschuss für Vorstandsangelegenheiten bewilligt worden war. Nach Darstellung der „Stuttgarter Zeitung“ wurde die fürstliche Tantieme für Claassen gegen den Einspruch der EDF bei Stimmenthaltung der kommunalen Anteilseigner bewilligt – und zwar dank der beiden Belegschaftsvertreter Neubrand und Koch im Aufsichtsrat, die bereits Anfang des Jahres mit einer devoten Beistandserklärung für den umstrittenen EnBW-Chef hervorgetreten waren und sich damit den Zorn der übrigen Betriebsräte zugezogen hatten.

Zudem lief inzwischen ein förmliches Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Mannheim gegen Claassen wegen Verdachts der Bilanzfälschung – eine Parallele zum immer noch anhängigen Ermittlungsverfahren gegen Gerhard Goll, das Claassen seinem Vorgänger eingebrockt hatte. Während aber Goll vorgeworfen wurde, er habe Vermögenswerte der EnBW zu hoch angesetzt, erfolgte die Strafanzeige gegen Claassen, weil er Beteiligungen wie die Stadtwerke Düsseldorf in der Bilanz zu niedrig veranschlagt habe.

Eigentor mit Freikarten für Fußball-Weltmeisterschaft

Seit Ende des Jahres 2005 griff Claassen jedenfalls auch schon mal zum Zuckerbrot statt zur Peitsche. Für mehr als zehn Millionen Euro kaufte die EnBW den Titel eines „nationalen Förderers“ der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft. Zudem organisierte sie gemeinsam mit Rundfunk und Landesregierung verschiedene Großveranstaltungen in baden-württembergischen Städten: „Die Begeisterung rund um die Fußballweltmeisterschaft 2006 soll sich nicht nur auf die Stadien begrenzen“, ließ sich Claassen in der Rolle des Volksbeglückers zitieren. „Als nationaler Förderer der FIFA WM 2006 TM wollen wir diese Begeisterung hinaustragen zu allen unseren Kunden und Menschen dieses Landes. Wir wollen uns gemeinsam an schönen Spielen erfreuen und das größte Heimspiel aller Zeiten in Baden-Württemberg feiern.“

Den Wirtschaftsminister Pfister, den er noch vor kurzem wie einen Schulbuben abgekanzelt hatte, bedachte Claassen nun mit der Einladung, die Spiele aus einer von der EnBW angemieteten Loge zu verfolgen. Auch zahlreiche andere Politiker erhielten Freikarten im Wert von jeweils über 2000 Euro, darunter solche, die wie Pfister dienstlich mit der EnBW zu tun hatten. Für die Staatsanwaltschaft Karlsruhe erfüllte Claassen damit den Tatbestand der Vorteilsgewährung nach Paragraph 333 des Strafgesetzbuches. Auch die Antikorruptionsorganisation Tranparency International sah das so und begrüßte deshalb die Anklageerhebung gegen Claassen: „Diese Art, sich einzuschmeicheln oder für gutes Wetter zu sorgen, hat bei Amtsträgern nichts zu suchen“, meinte Transparency-Vorstand Jochen Bäumel gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen“.

Pfister hatte sich artig für die Freikarten bedankt, bevor die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen bekannt wurden und er doch auf die Einnahme seines Platzes in der EnBW-Loge verzichtete. Die Staatsanwaltschaft sah damit den Tatbestand der Vorteilsannahme gegeben, stellte das Verfahren aber gegen eine Geldbuße ein. Zum Beispiel hätte Pfisters Ressort über die Zulässigkeit von Tariferhöhungen der EnBW zu befinden gehabt, wenn die Landesregierung nicht schon seit Jahren darauf verzichtet hätte, die ihr nach der Bundestarifordnung Elektrizität (BTOEltV) zustehende Kontrolle auszuüben. Die Befreiung der Stromversorger von der Tarif-Genehmigungspflicht wurde von Pfisters Vorgänger Döring (FDP) durchgesetzt und auch von ihm nicht in Frage gestellt, obwohl die baden-württembergischen Tarifkunden dadurch bis zum Außerkrafttreten der BTOEltV am 1. Juli 2007 schutzlos den „Preisanpassungen“ der EnBW ausgesetzt waren.

Noch ein anderer durfte sich der plötzlichen Gunst Claassens erfreuen: Ausgerechnet der CDU-Politiker Andreas Renner, der ihn als „Rambo“ charakterisiert hatte, heuerte nun bei der EnBW an und übernahm zum 1. August 2006 die Leitung einer neu gegründeten „Steuerungsgruppe regenerative Energien“. Der CDU-Politiker hatte zuvor als Sozialminister des Landes Baden-Württemberg zurücktreten müssen, nachdem er seine Schirmherrschaft für die Schwulenparade „Christopher Street Day“ gegenüber dem Rottenburger Bischof Fürst in einer Weise verteidigt hatte, die innerhalb der Partei Unmut erregte. „Wir sind sehr froh, dass wir diesen profilierten Mann für diese so außerordentlich wichtige Aufgabe gewinnen konnten“, ließ sich Claassen nun in einer EnBW-Pressemitteilung zitieren.

In ihrer mitunter possenhaft wirkenden Übersteigerung sind die hier geschilderten Vorgänge nicht unbedingt typisch und auf die gesamte deutsche Energiewirtschaft zu übertragen. Sie zeigen aber doch, wie sich das Verhältnis zwischen Politik und Stromversorgern gewandelt hatte: Den Chefsessel und andere führende Posten, die einst vorzugsweise Gewährsleute der herrschenden politischen Parteien innehatten, bekleidete nun ein neuer Typ des Managers, der sein Selbstbewußtsein auf seine vermeintliche Unersetzlichkeit für den „Shareholder value“ gründete. Der neue Typ erinnerte ein bißchen an die Führer mittelalterlicher Landsknechtshaufen, für deren „Shareholder“ ebenfalls nur die Beute zählte und die ihrem Anführer gern fürstliche Einkünfte und Allüren gönnten, solange er sie zum Erfolg zu führen schien. – Und wenn es dann Tod und Verderben war, hatten sie sich eben getäuscht.

 

Nächstes Kapitel: „Die Starken sind am mächtigsten allein“