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(Aus: Udo Leuschner, „Kurzschluß - wie unsere Stromversorgung teurer und schlechter wurde“, S.118-123)

 

Hinkender Vergleich

Die Zunahme staatlicher Belastungen liefert keine hinreichende Begründung für den Strompreisanstieg

Als die Strompreise das Niveau von 1998 wieder erreichten und überschritten, verfielen die Stromunternehmen auf die Idee, den Staat als Schuldigen zu präsentieren. Sie verkündeten nun, daß der Strom eigentlich noch immer billiger als 1998 sein könnte. Wer ihn derart verteuert habe, sei der Staat, der die Belastung durch Abgaben und Steuern kräftig erhöht habe. Der „Verband der Elektrizitätswirtschaft“ (VDEW) erstellte dazu die nachfolgende Berechnung für einen Durchschnittshaushalt mit einem Jahresverbrauch von 3500 Kilowattstunden:

 

VDEW-Vergleich der Haushalts-Stromkosten für die Jahre 1998 und 2006. Der E.ON-Konzern publizierte diese Grafik im Jahre 2006 in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften unter der Überschrift „Strom könnte heute deutlich billiger sein als vor 8 Jahren“ .


Tatsächlich hat der Staat unmäßig zugegriffen. In der hier dargestellten Steigerung des Staatsanteils von 12 auf 22 Euro steckt vor allem die Stromsteuer, die 1999 eingeführt wurde und seit 2003 jede Kilowattstunde mit 0,77 Cent belastet. Außerdem stiegen die Kosten für die Subventionierung von erneuerbaren Energien und Heizkraftwerken. Unmäßig war diese Mehrbelastung auch deshalb, weil der Staat auf sämtliche Abgaben, die er den Stromverbrauchern auferlegte, zusätzlich noch 16 Prozent Mehrwertsteuer kassierte. Als er dann auch noch zum 1. Januar 2007 die Mehrwertsteuer auf 19 Prozent erhöhte, verteuerten sich allein dadurch die Strompreise um weitere drei Prozent.

Insofern ist diese Rechnung nicht falsch. Sie ist aber nur die halbe Wahrheit. Sie ist sogar irreführend, indem sie einfach den Preisstand des Jahres 2006 mit dem des Jahres 1998 vergleicht, als habe es dazwischen nie die Jahre 1999/2000 gegeben, in denen tatsächlich Wettbewerb herrschte und die Preise einen Tiefpunkt erreichten.

Die Strompreise des Jahres 1998 waren zweifellos zu hoch. Das Hauptargument für die Liberalisierung des Strommarktes bestand gerade darin, daß diese überhöhten Preise kräftig gesenkt werden müßten.

Für kurze Zeit gelang dies sogar. Der versprochene Wettbewerb kam 1999 tatsächlich in Fahrt und ließ im Jahre 2000 die Strompreise auf einen bislang unerreichten Tiefstand sinken. Die Industrie zahlte nun etwa 27 Prozent und der Haushaltskunde 23 Prozent weniger als 1998.

Der richtige Bezugspunkt ist deshalb nicht das Jahr 1998, sondern das Jahr 2000, in dem der Wettbewerb erstmals richtig zu funktionieren schien. Und vergleicht man dann mit den Preisen zu Anfang 2006, so ergibt sich für Haushaltskunden eine Verteuerung um 58 Prozent anstelle von 28 Prozent und für Industriekunden um 36 Prozent anstelle von 11 Prozent.

Diese enormen Differenzen lassen sich nicht mit der Zunahme der staatlichen Belastungen erklären. Sie ergeben sich vielmehr daraus, daß die Stromversorger nach einer kurzen Phase des Preisverfalls wieder kräftig zugelangt haben. Und das mit kräftig verminderten Kosten, denn unter dem Druck des Wettbewerbs hatten sie allein in den Jahren 1999/2000 über 23 000 Arbeitsplätze abgebaut und auch an Materialkosten gespart, wo es nur ging.

Eine Kartellabsprache läßt sich allenfalls vermuten, aber nicht beweisen

Während man angesichts der oben abgebildeten Grafik fast Mitleid mit den armen Stromkonzernen bekommen könnte, weil sie für den Strom anscheinend weniger erlösten als 1998, verhält es sich in Wirklichkeit umgekehrt: Noch nie machten sie derartige Gewinne wie zu Beginn des neuen Jahrtausends.

Dies gelang ihnen deshalb, weil der Wettbewerb schnell wieder zum Erliegen kam. Und zwar nicht von selbst, sondern weil den Konzernen dämmerte, dass der Wettbewerb umso mehr ihren Gewinnen schadete, je mehr er den Verbrauchern zugute kam.

Normalerweise wäre diese Einsicht noch kein Grund für steigende Preise, jedenfalls nicht in einer funktionierenden Marktwirtschaft. Denn da würde sich immer ein Spielverderber finden, der zum eigenen Vorteil und zum Nachteil der Hochpreisanbieter die Ware billiger anbietet.

Wie kam es dann trotzdem zu dieser jähen Wende? Aus welchem Grund gingen die Preise nur noch nach oben? Weshalb funktionierte der Wettbewerb plötzlich nicht mehr?

Die Antwort lautet: Weil ein Oligopol aus vier Stromkonzernen mehr als achtzig Prozent des Stroms erzeugte, das gesamte Transportnetz beherrschte und darüber hinaus die meisten regionalen und lokalen Stromversorger entweder unmittelbar besaß oder über Beteiligungen am Gängelband hatte. Ideale Bedingungen für ein Kartell also, das die Preise so hoch wie nur möglich ansetzen kann und damit die Verbraucher schröpft.

Nun sind Kartelle allerdings in Deutschland grundsätzlich verboten. Wenn es zwischen den vier marktbeherrschenden Konzernen eine förmliche Absprache gegeben hätte, sich nicht mehr wehzutun und die Preise hochzutreiben, wäre sofort das Bundeskartellamt auf den Plan getreten, hätte die Konzernzentralen nach belastendem Material durchsucht und saftige Bußgelder verhängt.

Deshalb gab es auch kein förmliches Kartell. Zumindest konnte bisher niemand hieb- und stichfest belegen, daß irgendwann im Laufe des Jahres 2000 die Konzerne das Kriegsbeil des Wettbewerbs begraben und einträchtig die Friedenspfeife geraucht hätten, um gemeinsam Jagd auf die Verbraucher zu machen.

Fakt ist allerdings, dass im Jahre 2001 die Strompreise plötzlich wieder nach oben gingen. Zuerst die Haushalts- und dann auch die Industriestrompreise. Vor allem die Niederspannungskunden – also Haushalte und andere Kleinverbraucher – mussten nun ständig mehr bezahlen. Ein Haushaltskunde, der im Jahre 2000 für einen Verbrauch von 3500 Kilowattstunden 40,60 Euro zahlte, wurde im Jahr 2006 mit 57 Euro zur Kasse gebeten. Wer mehr verbrauchte – auch 6000 Kilowattstunden sind für einen Drei-Personen-Haushalt durchaus nicht ungewöhnlich – musste entsprechend stärker bluten.

Etwas glimpflicher kamen vorerst die Industriekunden davon, die mit Mittelspannung versorgt werden. Auch hier kletterte zwar der Durchschnittspreis der Kilowattstunde binnen drei Monaten von 11,24 Pfennig im Oktober 2000 auf 12,46 Pfennig im Januar 2001. Dann verharrte er aber für etwa zweieinhalb Jahre auf diesem erhöhten Niveau. So richtig weiter ging es erst ab 2003. Nach Angaben des Verbands der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) kletterten nun die Preise für Mittelspannungskunden fast kontinuierlich nach oben und lagen Anfang 2006 um mehr als achtzig Prozent über dem Stand vor drei Jahren.

Wie schon gesagt: Eine Absprache der Konzerne, die Preise gemeinsam nach oben zu treiben, ließ sich nicht nachweisen. Vielmehr wuschen alle Stromversorger ihre Hände in Unschuld und verwiesen auf objektive Faktoren, auf die sie keinen Einfluß hätten. Ganz allgemein beriefen sie sich auf die „Gesetze des Marktes“, die als höhere Gewalt die Preisbildung bestimmten und denen sie sich natürlich nicht entziehen könnten. Im einzelnen folgte zunächst der Hinweis auf die staatlichen Belastungen des Strompreises, die in der Tat zugenommen hatten. Im übrigen begründeten man die ständig steigenden Strompreise mit der Höhe der Netznutzungsentgelte, der Preisentwicklung an der Strombörse sowie – ab 2005 – mit den Kosten für Emissionszertifikate.

Sieht man mal von den gestiegenen staatlichen Belastungen ab, handelte es sich aber durchweg um höchst dubiose Kosten. Sowohl die Höhe der Netzentgelte als auch die Preisbildung an der Strombörse steckten voller Ungereimtheiten. Reine Augenwischerei war auch die Behauptung, der Strom habe wegen des neu begonnenen Handels mit Emissionszertifikaten teurer werden müssen.

Strompreise für Haushalte und Industrie
in 19 europäischen Ländern in Euro/kWh
zum 1.1.2006

 

Wie diese Übersicht zeigt, wurde Anfang 2006 der deutsche Durchschnittspreis für Haushaltsstrom, den Eurostat mit 18,32 Cent pro Kilowattstunde errechnete, nur noch von Dänemark, Italien und den Niederlanden übertroffen. Bei Industriestrom lag der deutsche Durchschnittspreis von 9,94Cent/kWh (ohne MWSt) nur unter dem Niveau von Italien, Zypern und Irland. Für den Vergleich der europäischen Strompreise verwendete Eurostat die Umrechnung in Kaufkraftstandards.

blau = Haushaltsstrompreise, Jahresverbrauch von 3.500 kWh, einschließlich Steuern
rot = Industriestrompreise, Jahresverbrauch 2000 MWh, maximale Abnahme 500 kW, einschließlich Verbrauchssteuern, ohne Mehrwertsteuer


Auch im internationalen Vergleich liegen die deutschen Strompreise an der Spitze

Jahrelang verbreitete die Stromwirtschaft außerdem die Legende, die deutschen Strompreise bewegten sich im im Vergleich mit anderen europäischen Staaten im „Mittelfeld“. Das mochte bis 1998 zutreffen. Aber schon 2002 zahlten die deutschen Privatverbraucher nach Angaben des Statistischen Amts der EU (Eurostat) durchschnittlich 12,49 Cent pro Kilowattstunde und damit den zweithöchsten Strompreis innerhalb der Europäischen Union nach Italien (14,18 Cent/kWh). Die deutsche Industriestrompreise lagen zu diesem Zeitpunkt mit 6,6 Cent/kWh ebenfalls schon über dem EU-weiten Durchschnitt von 6,12 Cent/kWh.

Für Anfang 2006 ermittelte Eurostat den deutschen Durchschnittspreis für Haushaltsstrom mit 18,32 Cent pro Kilowattstunde. Nur Dänemark, Italien und die Niederlande waren noch teurer. Bei Industriestrom lag der deutsche Durchschnittspreis mit 6,88 Cent/kWh (ohne Mehrwertsteuer) ebenfalls ganz vorn und wurde nur noch von Italien, Zypern und Irland übertroffen.

Von „Mittelfeld“ konnte da nun wirklich keine Rede sein. Dennoch inspirierten diese Zahlen den Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) zu einer Pressemitteilung mit der Überschrift „Deutsche Strompreise für Industrie und Haushalte liegen im Mittelfeld“, die mit diesem Tenor unkritisch von den Medien übernommen und sogar in der Fachpresse nachgedruckt wurde. Seine Behauptung, die deutschen Strompreise lägen im europäischen „Mittelfeld“, begründete der Branchenverband nun mit dem geringeren Anstieg, den die deutschen Strompreise im vergangenen Jahr gegenüber dem europäischen Durchschnitt verzeichneten (2,4 gegenüber 4,6 Prozent bei Haushalten und 10,1 gegenüber 15,5 Prozent bei der Industrie). Zum tatsächlichen Preisniveau machte er keine Angaben. Stattdessen glaubte der stellvertretende VDEW-Hauptgeschäftsführer Roger Kohlmann den Eurostat-Zahlen entnehmen zu können, „daß der Strommarkt in Deutschland funktioniert“.

„Fakt ist, daß sich die deutschen Strompreise keineswegs im europäischen Mittelfeld befinden“, stellte dazu der Bund der Energieverbraucher (BDE) fest. Wie aus den allgemein zugänglichen statistischen Daten hervorgehe, lägen die deutschen Preise mit 18,32 Cent/kWh weit über dem europäischen Durchschnitt von 13 Cent/kWh. Lediglich der Anstieg der Strompreise sei im vergangenen Jahr hinter dem europäischen Durchschnitt zurückgeblieben. Das sei aber ein ganz anderer Sachverhalt, als die Überschrift suggeriere. Er belege zudem, daß das deutsche Strompreisniveau bereits in der Vergangenheit überhöht gewesen sei.

Der eingangs erwähnte VDEW-Vergleich führt vor allem deshalb in die Irre, weil er die Strompreise von 2006 mit denen von 1998 vergleicht. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man - wie in der hier abgebildeten Grafik, die auf Angaben des Statistischen Bundesamts beruht - nicht von 1998, sondern von 2000 als Bezugsjahr ausgeht: Dann sind die Preise für Haushaltsstrom bis 2006 um 23,6 Prozent gestiegen, woran sowohl die staatlichen Belastungen mit einer Steigerung um 38,8 Prozent als auch die reinen Erzeugerpreise mit einer Steigerung um 18,7 Prozent beteiligt waren. Die Endpreise des Jahres 1998, mit denen die Branche üblicherweise vergleicht, lagen zwar mit 0,2 Prozent nur geringfügig über denen des Jahres 2000, als der Wettbewerb erstmals zu funktionieren schien und die Strompreise einen Tiefstand erreichten. Trennt man aber auch hier wieder die reinen Erzeugerpreise von Steuern und Abgaben, so zeigt sich, daß erstere um 14,4 Prozent höher und letztere um 46,1 Prozent niedriger waren. Das Abschmelzen der reinen Erzeugerpreise sorgte so für den im Jahre 2000 erreichten Tiefstand, und die Verbilligung des Stroms wäre noch größer gewesen, wenn nicht zugleich die Steuern und Abgaben kräftig zugenommen hätten. Mit dem Erlahmen des Wettbewerbs gingen dann ab 2001 sowohl die reinen Erzeugerpreise als auch die staatlichen Belastungen stetig nach oben. Schon 2005 lagen die reinen Erzeugerpreise wieder um knapp vier Prozent über denen des Jahres 1998, obwohl die Stromwirtschaft inzwischen durch Stellenabbau und Rationalisierung ihre Gewinnspannen vergrößert hatte.

Nächstes Kapitel: „Gegenwind“