November 1998 |
981101 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die von der neuen Bundesregierung vorgesehene Novellierung des Atomgesetzes darf keine Fakten schaffen, welche die Verhandlungen mit den Kernkraftwerksbetreibern über eine vorzeitige Stillegung von noch betriebsfähigen Reaktoren belasten und von vornherein scheitern lassen könnten. Dies betonten Vertreter der Stromwirtschaft, nachdem ein Gesetzentwurf von Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) bekannt geworden war, der die im Koalitionsvertrag festgelegten Punkte der Novellierung (981001) in einer für die Stromversorger unzumutbaren Weise interpretieren will. Laut Handelsblatt (24.11.) sieht das 39 Seiten umfassende Papier unter anderem vor, die Beweislast für die Sicherheit der Anlagen zu ungunsten der Betreiber zu verändern und die Deckungsvorsorge für die Haftung von bisher 500 Millionen Mark auf fünf Milliarden Mark je Anlage zu verzehnfachen. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller zeigte sich verärgert darüber, daß er von Vertretern der Energiewirtschaft auf die beabsichtigte Novellierung angesprochen wurde, ohne den Entwurf selber zu kennen. Er äußerte die Erwartung, "daß Herr Trittin einen Entwurf vorlegt, wie er im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist". Trittin bestritt, daß es sich bei dem bekanntgewordenen Papier um den fertigen Gesetzentwurf handele (Handelsblatt, 26.11.; SZ, 25.11.).
Der RWE-Vorstandsvorsitzende Dietmar Kuhnt verlangte für die Dauer der Verhandlungen über einen Energiekonsens eine Friedenspflicht. Die Novellierung des Atomgesetzes dürfe die rechtliche Position der Betreiber nicht von vornherein verschlechtern, sagte Kuhnt am 19.11. vor der RWE-Hauptversammlung in Essen. Es dürfe weder einen ausstiegsorientierten Gesetzesvollzug noch eine "Politik der Nadelstiche" auf Länderebene geben (SZ, 20.11.).
"Der Status quo muß bis zum Ende der Konsensgespräche erhalten bleiben und es muß bis dahin eine Friedenspflicht gelten", erklärte der Viag-Vorstandsvorsitzende Wilhelm Simson in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (23.11.). Falls es zu einer Vereinbarung über Restlaufzeiten kommen sollte, werde er auf einer Präambel bestehen, die ausdrücklich festhält, daß damit nicht der Ausstieg aus der Kernenergie vereinbart worden sei.
Eine unzumutbare Vorbelastung der Gespräche ergibt sich für die Stromversorger vor allem daraus, daß Trittin den Aufsichtsbehörden künftig die Möglichkeit einräumen will, bei jedem Gefahrenverdacht einen neuen Sicherheitsnachweis zu verlangen. Eine solche Beweislastumkehr stehe im Widerspruch zu den erteilten Betriebsgenehmigungen, sagte der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), Eberhard Meller, gegenüber dem Magazin Focus (9.11.). Auch die vorgesehene Erhöhung der Haftungssummen für Unfälle diene nicht der Sicherheit, sondern bezwecke allein die Verteuerung der Kernenergie.
Auch nach Ansicht der Frankfurter Rundschau
(25.11.) kann den Kernkraftwerksbetreibern nicht zugemutet werden,
jeden behaupteten Gefahrenverdacht durch teure Gutachten widerlegen
zu müssen: "Es liegt im rot-grünen Interesse, den
Bogen nicht zu überspannen, sondern eine maßvolle Regelung
zu finden. Sonst liefert die Koalition den Konzernen einen Vorwand,
die Konsensgespräche platzen zu lassen."