August 1998 |
980801 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder hat sich von von einem Bericht des Magazins Der Spiegel (3.8.) distanziert, wonach er einen raschen Ausstieg aus der Kernenergie anstrebt und schon innerhalb der ersten Legislaturperiode die sechs ältesten Reaktoren Obrigheim, Stade, Biblis A und B, Neckarwestheim 1 und Brunsbüttel abschalten will (siehe 980701). In einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (4.8.) sagte Schröder, er strebe eine einvernehmliche Lösung mit der Industrie an. Verträge müßten eingehalten werden. Ausdrücklich widersprach er dem SPD-Umweltexperten Michael Müller, der am 3.8. im Hessischen Rundfunk dafür plädiert hatte, im ersten Schritt gleich elf der 19 Kernkraftwerke abzuschalten: "Herr Müller ist nicht autorisiert, irgendwelche Erklärungen abzugeben. Wer draufsattelt wie er, handelt nicht in meinem Namen."
Wie die Süddeutsche Zeitung (5.8.) erfahren haben will, handelt es sich bei dem vom "Spiegel" veröffentlichen Ausstiegs-Szenario um alte Überlegungen, deren Veröffentlichung von Schröder nicht autorisiert worden war. Sie hätten zum Teil bereits 1997 bei den dann gescheiterten Gesprächen über einen Energiekonsens eine Rolle gespielt. Schröder und die führenden Stromkonzerne strebten aber für die Zeit nach der Bundestagswahl weiterhin einen Energiekonsens an, bei dem Restlaufzeiten für die Kernkraftwerke festgelegt werden.
Regierungssprecher Otto Hauser bezeichnete das vom "Spiegel" kolportierte Szenario als "nicht zu Ende gedacht und außerdem schädlich für den Standort Deutschland". Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) warf Schröder vor, den "Ausstieg der deutschen Wirtschaft aus der technologischen Weltliga" zu planen und 40 000 hochqualifizierte Arbeitsplätze zu gefährden. Forschungsminister Jürgen Rüttgers gab zu bedenken, daß sich eine wirksame Verringerung der CO2-Emmissionen nicht ohne Kernenergie erreichen lasse.
Die Grünen, die Schröders angebliche Absicht begrüßt hatten, zeigten sich enttäuscht. Mit der SPD werde es nicht einmal einen schleichenden Ausstieg aus der Kernenergie geben, meinte die bayerische Landtagsabgeordnete Irene Maria Sturm, dafür aber "mit Sicherheit die Regionalisierung der Entsorgung", womit auch auf Bayern der Bau eines Zwischenlagers zukomme (FR, 5.8.).