Oktober 1996

961004

ENERGIE-CHRONIK


Kabinett verabschiedet Rexrodts Entwurf zur Reform des Energierechts

Nach vierwöchigem Zögern hat das Bundeskabinett am 23.10. die von Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) beabsichtigte Reform des Energierechts doch in der vorgesehenen Form verabschiedet (siehe auch 960901). Danach werden bei Strom und Gas die geschlossenen Versorgungsgebiete aufgehoben. Die kartellrechtliche Zulässigkeit von Gebietsabsprachen sowie von ausschließlichen Wegerechten in Konzessionsverträgen werden abgeschafft. Der Wettbewerb um Einzelkunden soll sowohl mittels Durchleitung über die vorhandenen Netze als auch durch die Neuverlegung von Leitungen und Kabeln ermöglicht werden. Kunden und Lieferanten könnten demnach auf Grundlage des allgemeinen Kartellrechts Durchleitungen auch gegen den Willen des Netzinhabers erzwingen, falls marktbeherrschende Unternehmen diese mißbräuchlich verweigern sollten. Im übrigen ist aber eine spezielle Durchleitungsregelung, wie sie der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) gefordert hatte, nicht vorgesehen (FAZ, 24. 10.; Handelsblatt, 24.10.).

Bundesregierung ist zu Änderungen bereit

Obwohl die Bundesregierung Rexrodts Entwurf ohne Abstriche billigte, will sie sich gleichzeitig den massiven Protesten, die aus kommunalpolitischen Kreisen - auch solchen der Union - kommen, nicht verschließen. Dies geht aus einer gleichzeitig getroffenen Kabinettsentscheidung hervor, die Rexrodt in seiner anschließenden Pressekonferenz nicht erwähnt hat. Darin heißt es: "Die Bundesregierung ist im weiteren Gesetzgebungsverfahren offen für Änderungen des Gesetzentwurfs im Sinne der Kommunen. Der Bundesminister für Wirtschaft wird deshalb seine Gespräche mit den Kommunen und ihren Spitzenverbänden über die Auswirkungen auf die Gemeinden und Stadtwerke fortsetzen. Er wird außerdem mit den Ländern im Gespräch bleiben über deren besondere Interessen" (Welt, 28.10.).

SPD will Gesetz im Bundesrat scheitern lassen

Die weitere Zukunft des Gesetzentwurfs ist höchst ungewiß: Für die SPD-Bundestagsfraktion bekräftigte deren energiepolitischer Sprecher Volker Jung, daß seine Partei die Novelle im Bundestag ablehnen und gemeinsam mit den SPD-geführten Landesregierungen im Bundesrat einen alternativen Reformvorschlag vorlegen werde. Sie werde dabei den Umweltschutz in den Wettbewerb einbeziehen, die Energieversorgungsstruktur bewahren und alle Verbraucherinteressen - nicht nur die der industriellen Großkunden - schützen. Zur Sicherung eines fairen Wettbewerbs treten die Sozialdemokraten bei den leitungsgebundenen Energien für die organisatorische und rechnerische Trennung von Erzeugung und Verteilung ein.

Die energiepolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Michaele Hustedt. hält Rexrodts Entwurf ebenfalls für umweltschädlich und innovationsfeindlich. Die Grünen fordern eine wettbewerbsneutrale Organisierung des Stromnetzes, die eigentumsrechtliche Entflechtung der Energieversorgungsunternehmen, eine "wasserdichte" Durchleitungsregelung, die Förderung von Energiesparmaßnahmen und den Ausbau des Stromeinspeisungsgesetzes.

Während der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) den Gesetzentwurf erneut begrüßten, wiederholte der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) seine Forderung nach gleichen Wettbewerbsbedingungen für Stadtwerke. Das jetzt vorliegende Wettbewerbsmodell benachteilige die Kommunen und ihre Stadtwerke, weil es ungleiche Startbedingungen schaffe.

Presse prophezeit Scheitern von Rexrodts Plänen

Die Nachrichtenagentur DPA (23.10.) hielt es für unwahrscheinlich, daß Rexrodts Entwurf auch Gesetz wird: "Die nötige Zustimmung des SPD-bestimmten Bundesrats wird er wohl nicht erhalten. Denn bei kaum einem anderen Thema ist die Kluft zwischen Koalition und Opposition tiefer als in der Energiepolitik."

Für die Süddeutsche Zeitung (24.10.) hat Rexrodt ebenfalls keine großen Aussichten, als Neugestalter der Energiewirtschaft in die Geschichte einzugehen: "Es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, daß der Bundesrat dieser radikalen Liberalisierung seinen Segen gibt. Die Bedenken reichen von den Stadtwerken, die in einem solchen Fall um ihre Existenz bangen, bis hin zu Befürchtungen, wonach zwar einzelne Großunternehmen durch niedrigere Energiepreise davon profitieren würden, die privaten Kunden aber die Zeche zahlen müßten."