März 1994

940309

ENERGIE-CHRONIK


Biblis A nach Häufung kleinerer Pannen noch nicht wieder in Betrieb

Der Block A des Kernkraftwerks Biblis, der seit Dezember 1993 wegen Wartungsarbeiten und Brennelementewechsels stillstand und am 7.3. wieder angefahren werden sollte, konnte im März noch nicht wieder in Betrieb gehen. Dies ist das vorläufige Ergebnis einer Auseinandersetzung zwischen Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) und seinem hessischen Amtskollegen Joschka Fischer (Grüne). Der hessische Umweltminister möchte den Reaktor erklärtermaßen stillegen. Bei seinem Bestreben, die Wiederinbetriebnahme des Reaktors zumindest zu verzögern, kam Fischer eine Häufung von kleineren technischen Pannen innerhalb kurzer Zeit zustatten.

Vergessener Meißel führte zu Pumpenbrand

Zunächst hatte Fischer wenige Tage vor der geplanten Wiederinbetriebnahme des Reaktors mitgeteilt, daß er am 1.3. die Stillegung von Biblis A verfügen werde, weil der größte Teil von 49 nachträglichen Auflagen zur sicherheitstechnischen Nachrüstung, die einst von seinem Vorgänger Karl-Heinz Weimar (CDU) erlassen worden sind, noch nicht erfüllt worden sei. Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) erließ daraufhin umgehend eine "verfahrenslenkende" Weisung an Fischer, das Anfahren des Blocks nicht zu behindern. Die rechtzeitige Inbetriebnahme verzögerte sich dann aber doch, weil beim Probelauf der Kühlmittelpumpen am 4.3. in einer der Pumpen ein Brand ausbrach. Ursache war ein Meißel, der bei den Wartungsarbeiten vergessen worden war. Der Zwischenfall führte am 9.3. zu Debatten im Umweltausschuß des Bundestags und im Atom-Unterausschuß des hessischen Landtags. Der hessische Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) bekundete in einem Brief an Bundeskanzler Kohl, daß er Biblis nur noch als konventionellen Kraftwerksstandort erhalten möchte, da das Kernkraftwerk "ein nicht zu vertretendes Gefährdungspotential für Hessen und die angrenzenden Bundesländer" darstelle (FAZ, 2.3. u. 7.3.; DPA, 9.3., Welt, 9.3.; FAZ, 10.3.; siehe auch 940112 u. 940215).

Erneute Weisung Töpfers an Fischer

Obwohl Fischer den Pumpenbrand als Bestätigung seiner Stillegungsabsicht wertete, unterließ er es, das Vorkommnis innerhalb der vorgesehenen Frist einzustufen. Töpfer ordnete deshalb eine eigenständige Bewertung durch die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) an. Sie ergab, daß der Brand nicht meldepflichtig gewesen sei und seine sicherheitstechnische Bedeutung als gering einzuschätzen sei. Darauf erteilte Töpfer am 11.3. dem hessischen Amtskollegen die abschließende Weisung, das Wiederanfahren des Reaktors zu genehmigen. Fischer beugte sich dieser Weisung, warf Töpfer aber vor, das Geschäftsinteresse des KKW-Betreibers RWE über die "berechtigten Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung" zu stellen.

Am 16.3. forderte der hessische Landtag mit den Stimmen von SPD und Grünen die sofortige Stillegung des Blocks A. Nach einer teilweise sehr emotional geführten Debatte billigte er das Verhalten Fischers bzw. der Landesregierung und verurteilte das Vorgehen Töpfers. Dagegen warf der frühere Umweltminister Karlheinz Weimar (CDU) seinem Nachfolger Fischer vor, er verschleppe absichtlich die Genehmigung der seinerzeit von Weimar erlassenen Auflagen für Block A, um eine Handhabe für die Stillegung des Reaktors zu haben (FAZ, 12.3.; Welt, 12.3.).

Zwei weitere Zwischenfälle

Zu einer weiteren Verzögerung kam es am 16.3., als beim Wiederanfahren des Reaktors das Kurzschlußrelais einer Ölpumpe grundlos ansprach und dadurch eine Schnellabschaltung auslöste. Mit einem halben Tag Verspätung konnte das Anfahrprogramm fortgesetzt werden (DPA, 17.3.).

Doch schon am 23.3. mußte der Reaktor erneut abgeschaltet werden. Nach Mitteilung des Kraftwerkbetreibers RWE Energie war an einer Leitung im Sicherheitsbereich durch eine "minimale Undichtigkeit" schwach kontaminiertes Wasser ausgetreten. Der Schaden könne in kurzer Zeit behoben werden. Fischer untersagte jedoch die unverzügliche Auswechselung des defekten Leitungsstücks, bis die Ursache des Schadens geklärt worden sei. Wie sein Ministerium am 28.3. mitteilte, ergaben erste Untersuchungen des Teilstücks "eine größere Zahl von Rissen", die vermutlich durch Chlor entstanden seien. Zur genaueren Untersuchung werde eine Probe in ein Speziallabor nach Finnland geflogen. Das Ergebnis werde "in einigen Tagen" vorliegen (FAZ, 25.3. u. 29.3.; FR, 24.3. u. 29.3., Welt, 25.3.).

BILD fragt: "Was nun, Herr Töpfer?"

Nach Meinung der Frankfurter Rundschau (25.3.) läßt sich aus den Zwischenfällen in Biblis die Lehre ziehen, daß ein 20 Jahre alter Reaktor pannenträchtig sei: "Klaus Töpfer täte gut daran, im Zweifelsfall Druck zu machen, notfalls sogar eine rot-grüne Landesregierung beim Drängen auf mehr Sicherheit zu unterstützen. Denn jeder Zwischenfall wird letztlich auch ihm selbst angelastet."

"Was nun, Herr Töpfer? " fragte BILD-Frankfurt (24.3.) und stellte seinen Lesern den angeblichen Sachverhalt unter anderem so dar: "Deutschlands Pannen-Reaktor Nummer 1 hat fürs erste ausgestromt. Gestern mittag mußte Biblis A schon wieder abgeschaltet werden. Schwerer Störfall im 20 Jahre alten Nuklear-Meiler! Durch ein Leck im Primärkreislauf sprudelte radioaktiv verseuchtes Kühlwasser ins Innere des Kernkraftwerks. Atomalarm!"

Unter der Überschrift "Verlogen" kommentierte Die Zeit (11.3.) die politische Auseinandersetzung nach dem Pumpenbrand folgendermaßen: "Im Atomkraftwerk Biblis A hat eine Kühlpumpe gekokelt, und schon brennt es in den Umweltministerien von Bonn und Mainz lichterloh. ... Wie so oft bei grundsätzlichem Technikstreit wird vordergründig um die Sicherheit gerungen, dahinter steckt jedoch ein abgrundtiefer politischer Dissens. Das Publikum ahnt zunehmend die Verlogenheit solcher Risikodebatten. Höchste Zeit, daß sich die Verantwortlichen im Staate auf klare, bundeseinheitliche Vorgaben einigen - egal, wie sie ausfallen: pro, contra oder als Kompromiß in der Kernenergienutzung. Die Rechtsunsicherheit und die Blockade von Milliardeninvestitionen sind jedoch Gift für die Volkswirtschaft und die Glaubwürdigkeit der Politik."