Dezember 1992

921201

ENERGIE-CHRONIK


Einigung im Streit um Stromversorgung in den neuen Bundesländern

Im Streit um die Stromversorgung in den neuen Bundesländern haben Kommunen und Energiekonzerne kurz vor Weihnachten eine Einigung erzielt. Sie folgt im wesentlichen den Vorschlägen, die das Bundesverfassungsgericht am 27.10. in Stendal unterbreitet hat. Wie der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Kommunalen Unternehmen (VKU), Felix Zimmermann, am 22.12. in Bonn erläuterte, werden den mehr als 100 ostdeutschen Kommunen, die Stadtwerke gründen wollen und dafür auch eine Genehmigung erhalten, alle nötigen Anlagen und Betriebsteile innerhalb ihrer Stadtgrenzen unentgeltlich übertragen. Der Kompromiß sieht weiter vor, daß die Kommunen im Durchschnitt nur 30 Prozent ihres Strombedarfs selbst erzeugen, so daß den regionalen und überregionalen Stromversorgern ein Anteil von 70 Prozent verbleibt. Bei der Elektrizitätserzeugung sollen sich die Stadtwerke vor allem auf Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung, auf Müllkraftwerke und den Einsatz erneuerbarer Energien stützen. Als Ausgleich für die überlassenen Anlagen werden die Kommunen auf die ursprünglich vorgesehene Beteiligung an den regionalen Energieversorgungsunternehmen verzichten und auch eventuelle Altlasten übernehmen. Jene Gemeinden, die keine Stadtwerke gründen können, sollen Aktien der Regionalversorger entsprechend dem Wert der Versorgungsanlagen in ihrem Gebiet erhalten. Sie können überdies Aktien hinzukaufen. Noch unklar ist, ob solche Kommunen vor Gericht eine Wertminderung der Anteile an den Regionalversorgern durch Ausgliederung der Anlagen für städtische Eigenversorger geltend machen können. Die Energiekonzerne fordern für diesen Fall, daß ihnen von der Treuhand eine Haftungsfreistellung in gleicher Höhe zugesagt wird. Nach Angaben Zimmermanns verzichten die Energiekonzerne mit dem Vergleich auf rund zwei Milliarden DM, da die den Kommunen überlassenen Anlagen mehr wert seien als die Anteile an den Regionalversorgern, auf die von den betreffenden Kommunen im Gegenzug verzichtet wird.

Die 164 Kommunen, die vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt haben, sollen dem Kompromiß bis Ende Januar zustimmen. Der VKU rechnet damit, daß bereits 1993 eine Reihe von Stadtwerken gegründet wird. Die Absprache über Art und Umfang der kommunalen Stromerzeugung, die auch den Braunkohlenabsatz in den neuen Bundesländern sichern soll, wird für 20 Jahre gelten (FAZ, 23.12.; FR, 23.12.; SZ, 23.12.; siehe auch 921101).

Nach Meinung des Handelsblatts (23.12.) haben bei dem Kompromiß beide Seiten kräftig Federn lassen müssen. "Während die Stromkonzerne aber schon heute wissen, auf was sie sich eingelassen haben, dürften die Gemeinden in den neuen Ländern erst mit der Zeit erkennen, welchem Irrtum sie aufgesessen sind. Mit dem Recht auf Einrichtung eigener Stadtwerke haben sie sich nämlich keine Goldgrube eingehandelt, sondern Investitionsruinen, die vorerst viel Geld und Geduld kosten werden". Stiller Verlierer bei dem Kompromiß sei der Finanzminister, da die Privatisierung der Stromwirtschaft im Osten durch die Ausgliederung der Stadtwerke nun weit weniger Erlöse bringen werde, als bisher zu erwarten war.