November 1992 |
921114 |
ENERGIE-CHRONIK |
In der Elbmarsch um das Kernkraftwerk Krümmel seien zwischen 1986 und 1988 größere Mengen Radioaktivität freigesetzt worden. Diesen Schluß glaubt der Münchener Strahlenbiologe Prof. Edmund Lengfelder aus der Schwärzung der Jahresringe von Baumscheiben ziehen zu können, die er neun Monate lang auf Röntgenfilme gelegt hatte. Lengfelder gehört der niedersächsischen Kommission an, die die Häufung von Leukämie-Fällen in der Elbmarsch untersuchen soll. Mit seiner These gibt Lengfelder Befürchtungen Auftrieb, die Leukämiefälle seien auf das benachbarte Kernkraftwerk Krümmel zurückzuführen. Der stern (19.11.) widmete dem "schweren Verdacht" über vier Seiten. Das Hamburger Abendblatt (11.11.) berichtete in großer Aufmachung über die "Atomspur im Baum" und forderte in einem Kommentar: "Sollte sich herausstellen, daß die Kernkraftstechnik im Normalbetrieb Menschenleben kostet, kann es nur eine Konsequenz geben: Die Atomanlagen müssen abgeschaltet werden."
Ebenfalls im Hamburger Abendblatt (20.11.)
übte Prof. Horst Jung, Direktor des Instituts für Biophysik
und Strahlenbiologie an der Hamburger Universitätsklinik,
scharfe Kritik am Vorgehen Lengfelders: "Diese primitive
Untersuchungsmethode erlaubt zwar, einigen Hokuspokus für
die Medien zu inszenieren, für eine saubere wissenschaftliche
Untersuchung ist sie völlig ungeeignet." Die öffentliche
Diskussion um die Ursachen der Leukämiehäufung in der
Elbmarsch nehme "geradezu skandalöse Formen an".
Seit elf Monaten werde ausschließlich die ionisierende Strahlung
als vermeintlicher Auslöser diskutiert, ohne daß ein
einziges wissenschaftliches Resultat vorliege, das diese Vermutung
auch nur andeutungsweise rechtfertigen würde (siehe auch
920709).