März 1992 |
920309 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die im Januar von der EG-Kommission vorgelegten Pläne zur Zwangsdurchleitung von Strom und Gas werden von den europäischen Energieversorgungsunternehmen abgelehnt. Wie der Sprecher des Dachverbandes "Eurelectric", Alessandro Ortis, erklärte, können die Vorschläge der Kommission nicht als befriedigende Antwort auf den Wunsch nach mehr Wettbewerb angesehen werden. Ihre Verwirklichung würde nur übermäßige bürokratische Kontrollen erfordern. Anstatt gefährliche Komplikationen bei der Stromverteilung zu provozieren, solle die Kommission ihre Anstrengungen auf mehr Wettbewerb bei der Stromerzeugung richten bzw. für eine Harmonisierung der in den EG-Ländern höchst unterschiedlichen Energiesteuern und Umweltauflagen sorgen. Die britischen Mitglieder der Eurelectric schlossen sich der Kritik nicht an, da in Großbritannien die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zwangsdurchleitung bereits verwirklicht sind (dpa/VWD, 18.3; siehe auch 920111 u. 920213).
Mit ihrem am 22.1.92 veröffentlichten Richtlinienentwurf für die Verwirklichung des "Third Party Access" in zwei Stufen bis 1993 bzw. 1996 überschreitet die EG-Kommission ihre sich aus dem EWG-Vertrag ergebenden Kompetenzen. Zu dieser Feststellung gelangte die VDEW aufgrund einer juristischen Überprüfung. Der Richtlinienentwurf gehe über eine Rechtsangleichung nach Art. 100a des EWG-Vertrags hinaus und setze deshalb eine entsprechende Erweiterung dieses Vertrags durch einstimmigen Beschluß voraus. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs müsse er als unverhältnismäßiger Eingriff in Grundrechte zurückgewiesen werden. Die VDEW äußerte ferner "begründete Zweifel", daß die vorgeschlagenen Instrumente mit Blick auf den Binnenmarkt für Strom notwendig und nützlich seien (Handelsblatt, 5. u. 11.3.).
Demgegenüber unterstützen führende Repräsanten der Unternehmen BASF AG, Dow Chemical SA, ICI, Akzo NV sowie des Europäischen Verbandes der Chemischen Industrie die Brüsseler Pläne. Bei einem Treffen mit den für Energie bzw. Wettbewerb zuständigen EG-Kommissaren Antonio Cardoso e Cunha und Sir Leon Brittan bezeichneten sie eine Liberalisierung des Energiesektors als unerläßlich, um international wettbewerbsfähig bleiben und von den Vorteilen des Binnenmarkts in vollem Ausmaß profitieren zu können (VWD, 6.3.).
Die Frankfurter Rundschau (12.3.) sah in
den Richtlinien der EG-Kommission ein "untaugliches Rezept".
Bei ihrer Verwirklichung drohe vielen Millionen Kleinverbrauchern
eine Verschlechterung ihrer gegenwärtigen Situation: "Wenn
europaweit künftig ein paar hundert Großabnehmer von
Strom und einige Dutzend Weiterverteiler das Recht des freien
Zugangs zum Netz bekommen sollen, dann nehmen sie das natürlich
nur in Anspruch, wenn sie sich dadurch günstiger als bisher
stellen. Daraus darf getrost geschlossen werden, daß die
Stromerzeuger alle Hebel in Bewegung setzen, um die entstandenen
Einnahmeausfälle auf die Masse ihrer anderen Kunden zu überwälzen."