Dezember 1991 |
911208 |
ENERGIE-CHRONIK |
Im Streit um Mengen und Preise der Lieferungen sowjetischen Erdgases für die neuen Bundesländer ist inzwischen Beruhigung eingetreten. Anfang Dezember hatte die Wintershall Erdgas Handelshaus GmbH (WIEH) angekündigt, die Lieferungen an die ostdeutsche Verbundgasnetz AG (VNG) zum Jahresende ganz einzustellen, falls die VNG nicht den geforderten Preis zahle. Die von der Ruhrgas AG kontrollierte VNG konterte daraufhin mit einer Anzeigenkampagne in Gestalt eines "Offenen Briefs" an die Vorstände von BASF und Wintershall. Darin wurden der WIEH unvertretbare Preisforderungen vorgeworfen und "schwere Versorgungsstörungen in Ostdeutschland" vorausgesagt, falls die WIEH bei ihrer Haltung bleibe. "Wir werden deshalb die Bundesregierung bitten, die für solche Notsituationen vorgesehene öffentliche Notlastverteilung einzurichten", hieß es wörtlich in dem Offenen Brief (SZ, 2.12.; dpa, 5.12; siehe auch 911004).
Noch vor Weihnachten zeichnete sich dann eine Entspannung der verhärteten Fronten ab. Die Basis bildete ein Schlichtungsvorschlag des Bundeskartellamts, wonach die VNG bestimmte Aufschläge auf den alten Erdgas-Preis akzeptiert und für die bereits gelieferten Mengen eine Pauschalnachzahlung leistet. Der endgültige Preis für das Erdgas aus der Sowjetunion soll zu einem späteren Zeitpunkt in einem Schiedsverfahren festgelegt werden. Ferner wurde entschieden, daß nicht die Ruhrgas AG, sondern die Bayerische Landesbank die Vorfinanzierung der VNG-Anteile übernimmt, die von der Treuhand den ostdeutschen Kommunen zugestanden worden sind (SZ, 20. 12.).
In der Presse wurde der Erdgas-Streit weiterhin als Konkurrenzkampf um den deutschen und internationalen Gasmarkt gewertet. Den Beteiligten wurde vorgeworfen, ihrer Auseinandersetzung mißbräuchlich eine politische Dimension verleihen zu wollen.
Das Handelsblatt (4.12.) skizzierte den Hintergrund des Streits folgendermaßen: "Die ostdeutsche VNG verfügt über die Leitungen und den Zugang zu den Verbrauchern, während die Wintershall bei den Gasbezügen aus der UdSSR nun am längeren Hebel sitzt. Die Ökonomen sprechen in dieser Situation von einem bilateralen Monopol; beide Firmen werden sich am Ende einigen müssen, doch werden die Auseinandersetzungen nicht am Markt, sondern im politischen Raum geführt."
In dem als Anzeige veröffentlichen Offenen Brief der VNG sah dieselbe Zeitung "nichts als plumpe Agitation", mit der sich die Urheber "einen Bärendienst erwiesen" hätten. "Der unbedarfte Bürger soll aufgeschreckt und mobilisiert werden. So werden jetzt also Preisverhandlungen, die Grundbestandteil jeder Marktwirtschaft sind, geführt." (Handelsblatt, 6.12.)
Die Süddeutsche Zeitung (3.12.) rügte ebenfalls die Verlagerung des wirtschaftlichen Konkurrenzkampfs in die politische Arena: "Wer wie Ruhrgas/VNG den Eindruck zu erwecken versucht, in den neuen Ländern gingen von Januar an die Öfen aus, handelt unverantwortlich. Wer wie BASF/Wintershall mit Lieferkürzungen droht, die in gültigen Regierungsabkommen zwischen der ehemaligen DDR und der Sowjetunion geregelt sind, macht sich unglaubwürdig."
"Die Lösung wird erst ein verstärkter Wettbewerb bringen", meinte die Frankfurter Allgemeine (9.12.) . "Bis es soweit ist, führt allerdings kein Weg an Kompromissen zwischen den beiden Streithähnen vorbei."
Die Zeit (13.12.) verwies besonders auf
das sowjetische Interesse an höheren Erlösen, das die
staatliche "Gazprom" zur geschäftlichen Allianz
mit der BASF-Tochter Wintershall und Gründung der WIEH veranlaßt
hat: "Der gigantische Gaskonzern mit seinen 400 000 Beschäftigten
- 1989 durch eine schmerzlose Geburt aus dem Ministerium für
die Öl- und Gasindustrie der Sowjetunion hervorgegangen -
gehört zu den größten Devisenbringern des Landes
und möchte diesen Geldstrom noch breiter werden lassen. Dazu
braucht sie höhere Preise. Und die sind vom angestammten
Partner Ruhrgas, der mit den Sowjets seit mehr als zwanzig Jahren
im Geschäft ist, nicht zu haben."