August 2025 |
250808 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Regierungschefs von vier nord- bzw. ostdeutschen Bundesländern haben parteiübergreifend die Abschaffung der bisher einheitlichen deutschen Stromhandelszone gefordert. Sie begründen dies mit den immensen Kosten, die jährlich durch die Netzengpässe entstehen, weil die Börsen-Fiktion eines engpassfreien Netzes überhaupt nicht der technischen Realität entspricht (siehe Hintergrund, Juli 2024 und Hintergrund, April 2025). Durch diesen Konflikt zwischen Markt und Physik würden insbesondere ihre Länder benachteiligt. "Es geht nicht an, dass die Länder bestraft werden, die beim Ausbau der Erneuerbaren gut aufgestellt sind", erklärten der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke und Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (beide SPD) gegenüber dem "Handelsblatt" (13.8.).
Ähnlich äußerten sich gegenüber der Zeitung auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Laut Günther würden durch unterschiedliche Stromgebotszonen Preissignale in den Markt gegeben, die den tatsächlichen Knappheitsverhältnissen in den Regionen entsprächen. Dadurch könne dann "der Marktpreismechanismus seine Stärken ausspielen." Dies würde einen kosteneffizienten Einsatz von Stromerzeugung, Nachfrage, Speichern und der Nutzung von überschüssigem Strom ermöglichen, etwa für die Wasserstoffproduktion. Tschentscher erhofft sich von unterschiedlichen Stromgebotszonen ebenfalls einen „starken marktwirtschaftlichen Anreiz für einen sinnvollen regionalen Ausbau der Stromnetze und der regenerativen Stromproduktion sowie für den Einsatz innovativer Technologien“.
Auf diesen Vorstoß der vier Länderchefs reagierten unverzüglich die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Bayern: "Von diesem Vorschlag halten wir gar nichts, und deswegen werden wir uns mit aller Macht dagegenstellen", hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme gegenüber dem "Handelsblatt" (14.8.), zu der sich Winfried Kretschmann (Grüne) und Markus Söder (CSU) ungeachtet ihrer sonstigen Positionen zusammengefunden hatten. Dass die Einführung mehrerer Strompreiszonen für einige Bundesländer vorteilhaft wäre, wollten sie anscheinend gar nicht erst bestreiten. Stattdessen gaben sie zu bedenken, dass eine Schwächung der wirtschaftlich starken Regionen im Süden und Westen durch noch höhere Strompreise auch nicht im Interesse der norddeutschen Bundesländer liegen könne.
"Ich unterstütze eine einheitliche Strompreiszone für ganz Deutschland", ließ der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) in einer weiteren Stellungnahme wissen. "Eine Aufteilung der einheitlichen Strompreiszone würde den Süden und Westen Deutschlands in eine Hochpreisregion für Strom verwandeln“, befürchtete der saarländische Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD). Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) bezweifelte, dass durch eine Aufteilung insgesamt Einsparungen erzielt werden könnten, weil dabei die hohen Kosten und der Aufwand einer solchen Umstellung übersehen würden.
Der Widerspruch aus den fünf Bundesländern überrascht nicht. Schon vor zwei Jahren hatten diese in einer gemeinsamen Erklärung – die als sechstes Land auch Hessen unterschrieb – vor der möglichen Einführung von zwei Strompreis-Zonen in Deutschland gewarnt (230508). Mit dieser vergleichsweise bescheiden anmutenden Forderung hatten sich die norddeutschen Bundesländer damals begnügt, um ihr hohes und preisgünstiges Windstromaufkommen endlich als Standortvorteil nutzen zu können, anstatt für die bundesweit umgelegten Milliardenkosten bluten zu müssen, die jährlich durch die Schein-Überwindung von Netzengpässen durch "Ausfallarbeit" und "Redispatch" entstehen.
Inzwischen hat die ENTSO-E sogar eine Aufteilung der deutschen Handelszone
in fünf Gebotszonen vorgeschlagen (250401). Die deutschen
Netzengpässe sind nämlich nicht nur national, sondern auch international ein
Ärgernis. Bis Ende Oktober muss sich die Bundesregierung mit Frankreich, Italien,
den Niederlanden und Schweden auf einen einstimmig gefassten Beschluss zu dieser
Empfehlung der ENTSO-E einigen, der mitsamt einer ausführlichen Begründung der
EU-Kommission und der europäischen Regulierungsbehörde ACER zu übermitteln ist.
Falls diese Einstimmigkeit nicht zustande kommt, entscheidet im kommenden Jahr
die Kommission in Absprache mit ACER, wie der Zuschnitt der deutschen Stromhandelszone
künftig aussehen wird (250503).