Oktober 2022 |
221010 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Übertragungsnetzbetreiber der beiden neuen europäischen Plattformen für Regelenergie vertreten in der Regel jeweils ein nationales Netz – nur in Deutschland sind es gleich vier. |
Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber haben ihre Plattformen zur Beschaffung von Sekundärregelenergie (aFFR) und Minutenreserve (mFFR) europäisiert und warten nun auf weitere Beitritte von anderen europäischen Übertragungsnetzbetreibern. Wie sie am 6. Oktober mitteilten, haben sie am Vortag gemeinsam mit dem tschechischen Netzbetreiber CEPS auch die Plattform MARI für Minutenreserve gestartet, nachdem die Plattform PICASSO für Sekundärregelenergie schon seit 1. Juni in Betrieb ist. MARI steht für "Manually Activated Reserves Initiative" und PICASSO für "Platform for the International Coordination of the Automatic frequency restoration process and Stable System Operation").
Die Plattformen ermöglichen europaweit eine kostenoptimierte Aktivierung von Regelarbeit auf Basis einer gemeinsamen Merit-Order-Liste und unter Beachtung der vorhandenen Übertragungskapazitäten. Beispielsweise kann durch die zentrale Optimierung die Sekundärregelarbeit in Portugal für ein Systembilanzungleichgewicht in Polen erbracht werden. Dies erhöht den Wettbewerb aller Regelreserve-Anbieter in Europa und soll so zu Kostenreduktionen für Regelarbeit führen. Damit einhergehend können sich die Ausgleichsenergiepreise verringern, die jeder Bilanzkreisverantwortliche für seine Bilanzabweichung zahlen muss. Je nach Preisbildungs- oder Regulierungsmodell verringern sich damit auch die Kosten für den Endverbraucher. Zusätzlich können die Plattformen bei der Erreichung der europäischen Klimaziele einen Beitrag leisten, da der effiziente Einsatz von Erzeugungsanlagen die Schadstoffbelastung und die Emission klimaschädlicher Gase senkt.
Die Plattformen erfüllen die Anforderungen, die die Europäische Union 2017 in ihrer "Leitlinie über den Systemausgleich im Elektrizitätsversorgungssystem " (PDF) aufgestellt hat und die von den Übertragungsnetzbetreibern nach den Vorgaben der europäischen Regulierungsbehörde ACER gemeinsam umzusetzen sind. Die Steuerung der Plattformen übernehmen die deutschen Übertragungsnetzbetreiber Amprion und TransnetBW im Auftrag der ENTSO-E. Bei MARI werden insgesamt 29 Übertragungsnetzbetreiber aus 26 Ländern beitreten. Bei PICASSO sind es 26 aus 23 Ländern (die Differenz ergibt sich jeweils daraus, dass Deutschland als einziges Land vier solcher Unternehmen hat). Bei beiden Plattformen wird auch die Schweiz Mitglied, während Norwegen sich nur an MARI beteiligt.
Die meisten nationalen Übertragungsnetzbetreiber haben eine mehr oder weniger lange Übergangsfrist bis zum Beitritt beantragt. Grund sind in der Regel Probleme bei der IT-Umsetzung und bei der Angleichung der nationalen Marktregeln. Die "Accession Roadmaps" mit den geplanten Beitrittsdaten werden zweimal jährlich veröffentlicht. Bei PICASSO machen bisher neben den vier deutschen Übertragungsnetzbetreibern nur CEPS (Tschechien) und APG (Österreich) mit. Bei MARI wird nach aktuellen Stand der Beitritt von APG im April und von Elia (Belgien) im vierten Quartal 2023 erwartet. Die anderen folgen voraussichtlich erst im Jahr 2024.
Im Zusammenhang mit der Umstellung ist die irrsinnig hohe technische Obergrenze für Regelenergie-Gebote, die im Januar aufgrund einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs wieder auf 99.999,99 Euro pro Megawattstunde heraufgesetzt werden musste (220101), nun doch bis auf weiteres abgesenkt worden. Auf Antrag aller europäischen Übertragungsnetzbetreiber genehmigte die europäische Regulierungsbehörde ACER im März übergangsweise eine reduzierte, auf europäischer Ebene gültige Preisobergrenze für Regelarbeit in Höhe von 15.000 Euro/MWh. Diese wird bereits angewendet und gilt dann nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die europäischen Plattformen vier Jahre lang.