September 2022

220907

ENERGIE-CHRONIK


Regierung stellt Rosneft-Raffinerie unter Treuhandverwaltung

Die Bundesregierung hat am 16. September die Rosneft Deutschland GmbH (RDG) und die RN Refining & Marketing GmbH (RNRM) der Treuhandverwaltung durch die Bundesnetzagentur unterstellt. Die beiden Töchter des russischen Ölkonzerns Rosneft verlieren dadurch die geschäftliche Verfügungsgewalt über die PCK-Raffinerie in Schwedt, die den Großraum Berlin/Brandenburg zu 95 Prozent mit Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin versorgt und an der gesamten deutschen Kraftstoffproduktion zu etwa zehn Prozent beteiligt ist. Als Folge dieser Entmachtung kontrolliert die Bundesnetzagentur künftig auch die Minderheitsbeteiligungen des russischen Staatskonzerns an den Raffinerien MiRo in Karlsruhe (24 Prozent) und Bayernoil in Vohburg (28,57 Prozent). Zugleich kündigte die Bundesregierung ein "Zukunftspaket" an, um die 1200 Arbeitsplätze bei der PCK-Raffinerie in Schwedt auch nach dem Wegfall der russischen Öllieferungen zu sichern sowie die "Transformation in den ostdeutschen Raffineriestandorten und Häfen zu beschleunigen" (PDF).

Drei Tage vor dem Überfall auf die Ukraine bekam Rosneft grünes Licht für den weiteren Ausbau der Mehrheitsbeteiligung

Der Ölförderer Rosneft ist neben der Gazprom die wichtigste Einnahmequelle des Putin-Regimes und wie der Gasexporteur aufs engste mit der Politik des Kremls verflochten. Seine Entmachtung wurde erforderlich, damit Deutschland die Vorgaben des sechsten Sanktionspakets erfüllen kann, die am 3. Juni im EU-Amtblatt veröffentlicht wurden und mit Beginn des neuen Jahres in Kraft treten (220604). Aktuell gehört die PCK-Raffinerie zu 54,17 Prozent Rosneft, zu 37,5 Prozent Shell und zu 8,33 Prozent dem italienischen Energiekozern ENI. Im November vorigen Jahres wollte der russische Staatskonzern seine Mehrheitsbeteiligung bis auf 91,67 Prozent erhöhen, indem er ein Vorkaufsrecht auf den Geschäftsanteil des Miteigentümers Shell geltend machte, den dieser eigentlich an die estnische Liwathon-Gruppe verkaufen wollte. Das Bundeskartellamt gab einem entsprechenden Rosneft-Antrag am 21. Februar 2022 statt. Der drei Tage später beginnende russische Überfall auf die Ukraine durchkreuzte dann aber diese Transaktion, zumal das Bundeswirtschaftsministerium ein Investitionsprüfverfahren einleitete und damit die vom Kartellamt erteilte Genehmigung ausbremste. Inzwischen dürfte Rosneft selber jegliches Interesse verloren haben. Ähnliches gilt allerdings auch für das ausgebootete estnische Unternehmen, dem das Bundeskartellam mit einer vom 26. Juli datierten Entscheidung nachträglich doch noch das Recht zusprach, die Shell-Anteile erwerben zu dürfen. Zumindest würde nun über den Verkaufspreis neu verhandelt werden müssen.

Beim Öl war das Erpressungspotential des Kremls geringer als beim Gas

Während die ehemalige Gazprom Germania schon im April unter Treuhandverwaltung gestellt werden musste, weil der Kreml sie heimlich liquidieren und nur noch als Störpotential nutzen wollte (220403), ergab sich bei der PCK-Raffinerie zunächst kein solcher Handlungsdruck. Das lag daran, dass die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Rohstoff-Importen beim Öl deutlich geringer war als beim Gas. Außerdem ließ sich dieser Rohstoff leichter durch Bezüge aus anderen Ländern ersetzen. Entsprechend gering waren die Erpressungsmöglichkeiten, die sich dem Kreml auf diesem Sektor boten. Der russische Anteil am gesamten deutschen Ölimport betrug zu Beginn des Überfalls auf die Ukraine rund 35 Prozent und konnte dann binnen weniger Wochen auf 12 Prozent gesenkt werden. Der französische Energiekonzern Total, dessen Raffinerie bei Leuna (Sachsen-Anhalt) ebenso wie die PCK-Raffinerie in Schwedt über die Druschba-Pipeline mit Rohöl versorgt wird, kündigte schon Ende März an, dass er alle Ölimporte aus Russland so schnell wie möglich beenden und die zum Jahresende auslaufenden Lieferverträge mit Rosneft nicht erneuern werde.

Der Kreml hätte unter diesen Umständen nur sich selber geschadet, wenn er den noch verbleibenden Ölfluss über die von Belarus nach Deutschland führende Verzweigung der Druschba-Pipeline gestoppt hätte. Er hätte dann nicht nur die Einnahmen aus dem Ölexport verloren, sondern auch das Kommando über die PCK-Raffinerie in Schwedt, die von der Bundesregierung sofort unter Treuhandverwaltung gestellt worden wäre, da sie für die Energieversorgung im Osten Deutschlands von enormer Bedeutung ist.

Sechstes Sanktionspaket der EU änderte die Lage

Seit Ende Mai war allerdings klar, dass es beim Status quo nicht bleiben konnte. Damals einigten sich die EU-Staaten auf ein sechstes Sanktionspaket gegen Russland, das den Erwerb, die Einfuhr oder die Weitergabe von Rohöl und bestimmten Erdölerzeugnissen aus Russland in die EU verbietet. Das Embargo für Rohöl wird mit Beginn des Jahres 2023 greifen, und das für Erdölerzeugnisse zwei Monate später. Es wird dann allerdings nur eine begrenzte Wirkung entfalten, obwohl die Einnahmen aus dem Ölexport für den Kreml von erstrangiger Bedeutung sind und die EU auf das russische Öl leichter verzichten kann als auf die Gaslieferungen. Das liegt vor allem am EU-Mitglied Ungarn, dessen autoritärer Regierungschef Orban eine waghalsige Schaukelpolitik zwischen Moskau und Brüssel betreibt und durchsetzen konnte, dass die von Belarus nach Süden führende Verzweigung der Druschba von dem Embargo nicht betroffen sein wird. Auch der Transport russischen Öls mit Tankschiffen aus EU-Staaten bleibt mögllich, weil Griechenland, Malta und Zypern ihre diesbezüglichen Partikularinteressen als Reederei-Standorte durchsetzen konnten. Letzendlich gilt das beschlossene Embargo also nur für den leitungsgebundenen Transport und auch da nur für die nördliche Verzweigung der Druschba-Pipeline, die von Belarus über Polen nach Deutschland führt (220604).

Nördlicher Abzweig der Druschba unterliegt ab 2023 dem Öl-Embargo

Dagegen waren Polen und Deutschland bereit, die durch das Embargo des nördlichen Druschba-Abzweigs entstehenden Belastungen in Kauf zu nehmen. Das bedeutet, dass für die PCK-Raffinerie in Schwedt bis Ende des Jahres neue Öllieferanten gefunden werden müssen. Rosneft sträubte sich verständlicherweise, auf die Doppelrolle als Kunde und Lieferant zu verzichten. Deshalb musste dem russischen Staatskonzern die Geschäftsführung der Raffinerie entzogen und einem Treuhänder übertragen werden. Die am 16. September bekanntgegebene Entscheidung der Bundesregierung war insofern überfällig und schaffte endlich Klarheit.

Bestehende Pipeline von Rostock nach Schwedt wird ausgebaut

Damit eine vollständige Abkoppelung der ostdeutschen Raffinerien in Schwedt und Leuna vom russischen Öl gelingen kann, müssen aber auch noch technische Probleme gelöst werden. Bisher werden beide über die Mineralölverbundleitung Schwedt (MVSL) versorgt, die das über die Druschba-Pipeline ankommende Gas an der deutsch-polnischen Grenze übernimmt, um es an die nahe gelegene PCK-Raffinerie sowie an die 336 Kilometer entfernte Total-Raffinerie in Leuna weiterzuleiten. Außerdem verfügt diese Pipeline, die Total und PCK gemeinsam gehört, über eine 202 Kilometer lange Verbindung zum Tanklager im Hafen Rostock. Diese Pipeline wurde bisher lediglich zur Notfallversorgung und nie im Dauerbetrieb genutzt. Sie soll nun so ausgebaut werden, dass sie jährlich bis zu neun Millionen Tonnen Rohöl transportieren und damit die Kapazität der PCK-Raffinerie zu drei Vierteln auslasten kann. Die Baukosten von voraussichtlich 400 Millionen Euro will der Bund übernehmen.

Auch über den Hafen Danzig könnte Öl nach Schwedt gelangen

Außerdem verhandelt die Bundesregierung weiterhin mit Polen über die Nutzung der dort vorhandenen Pipelines, damit Öl-Lieferungen auch über den Hafen Danzig möglich werden. Diese könnten dann wie bisher über das Endstück der Druschba-Pipeline nach Schwedt gelangen. Polen hat seine Zustimmung bisher davon abhängig gemacht, dass die PCK-Raffinerie dem Kommando von Rosneft entzogen wird. Eine weitere Option sieht sie in Gesprächen mit Kasachstan, das als Mitglied der von Russland dominierten "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" (GUS) neuerdings einen Kurs der begrenzten Eigenständigkeit verfolgt. Zur Lieferbereitschaft müsste hier allerdings hinzukommen, dass Russland dem Nachbarstaat die Nutzung der Druschba erlaubt.

 

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