April 2022 |
220408 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die EU-Kommission hat den beiden Mitgliedsstaaten Spanien und Portugal eine Strompreisdeckelung zugestanden. "Wir haben eine politische Einigung mit der Kommission erzielt", sagte die spanische Ministerin für ökologischen Wandel, Teresa Ribera, am 26. April auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem portugiesischen Amtskollegen José Duarte Cordeiro in Brüssel. Das Abkommen werde in den nächsten Tagen in Kraft treten und den Verbraucherschutz stärken. Wie Cordeiro hervorhob, wird es damit beiden Ländern doch möglich, die Preisbildung für Strom von der für Gas zu entkoppeln, obwohl die EU-Kommission dies strikt abgelehnt hat. Das Verfahren könne nun zwölf Monate angewendet werden. Es werde dadurch möglich, den Preis für das in der Stromerzeugung verwendete Gas in diesem Zeitraum auf durchschnittlich 50 Euro pro Megawattstunde zu begrenzen. Das wäre weniger als ein Viertel der Preise, die Ende April im vortägigen Handel an der Epex Spot notiert wurden.
Aus Sicht der Kommission konnte sie diese "iberische Ausnahme" ohne Gefährdung des gegenwärtigen Preisbildungssystems am Spotmarkt akzeptieren, weil die iberische Halbinsel ohnehin kaum an das übrige europäische Stromnetz angebunden ist. Im Unterschied zu Frankreich, das vor allem mit den niedrigeren Kosten seiner Stromerzeugung aus Kernenergie gegen die Koppelung der Strompreise an die hohen Betriebskosten der Gaskraftwerke argumentierte, verwiesen Spanien und Portugal auf die niedrigen Kosten ihrer Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen sowie den sozialpolitischen Sprengstoff, den ein unnötig hochgetriebener Strompreis durch Festhalten an der bisherigen Börsenregelung zu erzeugen droht.
Laut der französischen Nachrichtenagentur AFP bahnte sich die Einigung schon Ende März an und wurde nun nach einmonatigen Verhandlungen bestätigt. Ursprünglich hatten beide Länder wie Frankreich eine systemische Entkoppelung von Strom- und Gaspreisen verlangt, bei der sich der Großhandelspreis grundsätzlich nicht mehr nach den Grenzkosten sondern nach dem Grenzpreis richtet. Damit wären für den Großhandelspreis nicht mehr die derzeit besonders teuren Gaskraftwerke maßgebend, die üblicherweise am Ende der Merit-Order-Liste abgerufen und eingesetzt werden, sondern die durchschnittlichen Kosten aller zur Stromerzeugung eingesetzten Kraftwerke. Gegen eine derartige Reform des Börsenhandels hatten sich aber die Börse und die von den derzeitigen Höchstpreisen profitierenden Kraftwerksbetreiber vehement gewehrt, wobei sie nicht nur bei der Kommission ein offenes Ohr fanden. sondern insbesondere von Deutschland und den Niederlanden unterstützt wurden. Ihr gewichtigstes Argument ist dabei, dass bei einer Ersetzung der Grenzkosten durch den Grenzpreis die Gaskraftwerke unrentabel würden, weil dann alle Anbieter auf der Merit-Order-Liste nur noch mit den durchschnittlichen Kosten der Stromerzeugung honoriert würden.
Bei der deutschen Haltung in dieser Frage dürfte auch die nun beschlossene Übernahme der EEG-Kosten durch den Staat eine Rolle spielen, weil von der derzeitigen Grenzkosten-Regelung vor allem die Betreiber von Erneuerbaren-Anlagen profitieren, deren Stromerzeugungskosten am niedrigsten sind. Entsprechend weniger wird deshalb die EEG-Umlage belastet, die künftig der Staat aus dem Energie- und Klimafonds bezahlen muss (220410).
Eine offene Diskussion über das von Frankreich angeregte Thema "Grenzpreis statt Grenzkosten?" (Hintergrund Oktober 2021) fand bisher nicht statt. Die Epex Spot verteidigte das bisherige System als "transparentes Preissignal für alle europäischen Länder", ohne ein Wort über die tatsächlichen Zusammenhänge zu verlieren (211003). Die Bundesregierung ließ ebenfalls eine überzeugende Begründung vermissen, weshalb sie an einem derart fatalen Preismechanismus festhalten möchte. Dass die bisherige Regelung auch den Energie- und Klimafonds bei der Übernahme der EEG-Kosten ab 1. Juli entlastet, ist aber sicher nur einer der Gründe für ihren Schulterschluss mit Börse und Kraftwerksbetreibern. Der Hauptgrund ist vielmehr eine Fehlkonzeption der bisherigen Energiepolitik, die auf den Bau ausreichender Speicherkapazitäten zum Ausgleich der fluktuierenden Wind- und Solarstromerzeugung verzichten zu können glaubte und stattdessen fast nur auf Gaskraftwerke setzte (210506, 210204, 140915). Diese Gaskraftwerke würden jetzt nämlich unrentabel, wenn man die Grenzkosten einfach durch den Grenzpreis ersetzt, weil dann alle Anbieter auf der Merit-Order-Liste denselben Durchschnittspreis bekämen. Vor allem Wind- und Solarstrom sind konkurrenzlos günstig. Deshalb läge der Durchschnittspreis in jedem Fall unter den Stromerzeugungkosten von Gaskraftwerken. Gegenwärtig ist der Einsatz von Gaskraftwerken wegen der exzessiv gestiegenden Brennstoffkosten aber besonders teuer. Dadurch haben sich an der Strombörse die monatlichen Durchschnittspreise pro Megawattstunde im vortägigen Handel von März 2021 bis März 2022 mehr als verfünffacht: Der "Phelix base" explodierte von 47,16 auf 252,01 Euro/MWh und der "Phelix peak" von 55,11 auf 278,95 Euro/MWh (siehe Phelix).
So zahlt man dann lieber Subventionen an die übermäßig geschröpften Stromverbraucher, anstatt eine grundsätzlich verkorkste Lösung zu reformieren. Oder man deckelt bzw. subventioniert den Gaspreis für die Stromerzeugung, wie das die EU-Kommission jetzt als "iberische Ausnahme" Spanien und Portugal zugestanden hat, weil sich dort durch die Strompreis-Explosion enormer sozialpolitischer Sprengstoff anhäuft und beide Länder kaum mit dem übrigen europäischen Strommarkt verbunden sind.
Die EU-Kommission hat zu diesem Problem inzwischen eine Studie anfertigen lassen. Dem Vernehmen nach enthält sie aber auch nur die Empfehlung, es bei dem fatalen Börsenmechanismus zu belassen, der bestimmten Akteuren der Energiewirtschaft phantastische "windfall profits" zu Lasten der schwer gebeutelten Stromverbraucher beschert. "Nicht dran rühren – irgendwann werden die Grenzkosten auch wieder sinken" scheint der Tenor zu sein. Am 2. Mai wollen sich die EU-Energieminister damit befassen.