Januar 2022 |
220111 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Kernkraftwerke Brokdorf in Schleswig-Holstein, Grohnde in Niedersachsen und Gundremmingen C in Bayern wurden zum Jahresende 2021 endgültig abgeschaltet, wie es die vor zehn Jahren erfolgte Neufassung des Atomgesetzes vorschreibt (110601). Am Netz sind jetzt nur noch die drei "Konvoi-Reaktoren" Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2, die 1988 in der alten Bundesrepublik als die letzten von damals insgesamt 22 aktiven Leistungsreaktoren in Betrieb genommen wurden. Aber auch sie müssen bis spätestens 31. Dezember 2022 stillgelegt werden.
Nach der Inbetriebnahme der drei Konvoi-Reaktoren war es in der Bundesrepublik nicht mehr möglich, den Neubau von Kernkraftwerken durchzusetzen (siehe Hintergrund, Februar 2009, und Hintergrund, Juni 2015). In der Folge sank die Anzahl der aktiven Leistungsreaktoren durch die Abschaltung des THTR in Hamm (1988) sowie der Kernkraftwerke Würgassen (1994) Mülheim-Kärlich (2001), Stade (2003) und Obrigheim (2005) auf nur noch 17. Nach der Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 verringerte sie sich durch die gleichzeitige Stillegung von acht Reaktoren schlagartig auf nur noch neun. Vier Jahre später folgten dann jeweils zum Jahresende die Abschaltungen von Grafenrheinfeld (2015), Gundremmingen B (2017) und Philippsburg 2 (2019). Die sechs Reaktoren, welche die DDR bei Greifswald und Rheinsberg betrieb (der fertige Block 6 in Greifswald wurde nicht mehr aktiviert), gingen noch im Jahr des Beitritts zur Bundesrepublik 1990 vom Netz.
Die beiden Grünen-Minister Robert Habeck und Steffi Lemke, die in der neuen Bundesregierung für die teilweise neu zugeschnittenen Ressorts "Wirtschaft und Klima" bzw. "Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz" zuständig sind, begrüßten in einer gemeinsamen Pressemitteilung die nun erfolgte Stillegung der drei Reaktoren. Damit werde planmäßig eine weitere wichtige Etappe des 2011 beschlossenen Atomausstiegs vollzogen und die nukleare Sicherheit hierzulande deutlich erhöht. Die in den vergangenen Jahren gestiegene und im internationalen Vergleich sehr hohe Zuverlässigkeit der Stromversorgung in Deutschland bleibe dennoch gewährleistet.
In der gemeinsamen Stellungnahme hieß es dann unter anderem: "Der beschleunigte Atomausstieg wurde 2011 in einem breiten Konsens gesetzlich beschlossen, die im Jahr davor beschlossene Laufzeitverlängerung damit zurückgenommen." Obwohl sich in dieser Formulierung der angeblich beschleunigte Atomausstieg auf die vorangegangene Aufstockung der Reststrommengen beziehen lässt, erwecken die beiden Minister damit weiterhin den falschen Eindruck, als ob es nach der Katastrophe von Fukushima mit dem Atomausstieg schneller vorangegangen sei als zuvor. Tatsächlich hat die enorme Laufzeiten-Verlängerung aber nie einen nennenswerten Einfluss auf die Abarbeitung der im Jahr 2000 vereinbarten Reststrommengen gehabt, weil sie schon kurz nach ihrem Inkrafttreten wieder gestrichen wurde. Dagegen hat die 2011 beschlossene Neuregelung eine weitere zügige Abarbeitung behindert und verlangsamt, weil sie sich nicht mit der Wiederherstellung der alten Reststrommengen-Regelung begnügte, sondern von der schwarz-gelben Koalition mit scheinradikalen Zutaten garniert wurde, die lediglich propagandistischen Charakter hatten. Ohne diese Zutaten wären alle Kernkraftwerke in Deutschland längst stillgelegt worden. So aber entstand ein Konflikt zwischen willkürlich gesetzten Schlussterminen und der künstlich verlangsamten Abarbeitung der Reststrommengen, der den KKW-Betreibern nachträglich eine Abfindung von 2,43 Milliarden Euro bescherte (210301). Die damaligen Oppositionsparteien SPD und Grüne hatten diese gesetzgeberische Fehlkonstruktion seinerzeit mitgetragen und auch später verteidigt, als noch Zeit gewesen wäre, sie zu korrigieren. Insoweit ist es verständlich, wenn sie auch heute noch an der Floskel vom angeblich beschleunigten Atomausstieg nach Fukushima festhalten, obwohl der Ausstieg tatsächlich wesentlich langsamer voranging. Faktisch führt diese Sprachregelung aber den Hörer oder Leser bewußt in die Irre (siehe Hintergrund, März 2021).
Aus ganz anderen Motiven verlangten in den vergangenen Monaten unentwegte Kernenergie-Fans, die Schlusstermine für die sechs letzten noch in Betrieb befindlichen Reaktoren zu streichen (211006). Ihnen ging es dabei nicht um eine Beschleunigung, sondern um die Verlangsamung und Beendigung des Ausstiegs aus der Kernenergie. Meistens zielten diese Forderungen sogar auf einen Wiedereinstieg in die nukleare Energiewirtschaft, weil nur so genügend CO2-freier Strom erzeugt werden könne, um die Aufheizung des Weltklimas zu verhindern. Realistisch war diese Kampagne nicht, obwohl sie sogar von einem ernstzunehmenden Blatt wie der "Frankfurter Allgemeinen" diskret bis unverhohlen unterstützt wurde (siehe 211006 und Hintergrund, August 2021). Zumindest gilt dies für das Nahziel, die sechs letzten Schlusstermine zu streichen. Daran können nicht einmal die Betreiber der Reaktoren ein Interesse haben, die ihre üppige Abfindung auf Kosten des Steuerzahlers bereits eingetütet haben. Im übrigen würde der Wiedereinstieg in die Kernenergie derart hohe Kosten erfordern, dass er nur mit massiven Staatshilfen für die beteiligten Unternehmen zu realisieren wäre. Außerdem würde die Errichtung einer größeren Anzahl neuer Reaktoren so lange dauern, dass es für die Verhinderung der Erderwärmung sowieso zu spät wäre.