Mai 2019

190503

ENERGIE-CHRONIK


Siemens will Energietechnik ausgliedern und separat an die Börse bringen

Der Siemens-Konzern will sein Geschäft mit Energietechnik komplett abspalten, die Mehrheit der Aktien separat an die Börse bringen und sich nur noch mit einer Minderheitsbeteiligung begnügen. Der Aufsichtsrat billigte am 7. Mai einstimmig – auch mit Unterstützung der Arbeitnehmervertreter – ein entsprechendes Konzept, das der Vorstand unter Führung von Joe Kaeser vorgelegt hat. Neben dem bisherigen Geschäftsbereich "Gas and Power" wird das neue Unternehmen die Mehrheitsbeteiligung am Windkraft-Unternehmen "Siemens Gamesa" übernehmen, über 80.000 Beschäftigte zählen und einen Umsatz von 30 Milliarden Euro erwirtschaften.

"Siemens kappt seine Wurzeln"

Es handelt sich um den bislang größten Umbau des deutschen Traditionskonzerns, der sich auf ähnliche Weise schon aus etlichen anderen Bereichen zurückgezogen hat, die ihm nicht profitabel genug erschienen. Zum Beispiel hat Siemens 1999 das Halbleiter-Geschäft aufgegeben (Infineon), 2007 den Automobilzulieferer VDO verkauft, ab 2013 die Trennung von der Leuchtmittel-Tochter Osram vollzogen, 2015 den Rückzug aus dem Hausgeräte-Geschäft abgeschlossen und 2017 den Bereich Medizintechnik an die Börse gebracht (Healthineers). Die Abspaltung des Kraftwerksbereichs ist aber ein noch ungleich tieferer Einschnitt. Sie rührt gewissermaßen an die Identität des Unternehmens, dessen Stammvater Werner Siemens 1867 das dynamoelektrische Prinzip entdeckte und als Begründer der elektrischen Energietechnik gilt. "Siemens kappt seine Wurzeln" überschrieb deshalb die FAZ (8.5.) ihren Bericht über diesen "Paukenschlag" bei der Aufsichtsratssitzung.

Aktionäre bekommen Gratis-Aktien an dem neuen Unternehmen

Über die Abspaltung und spätere Börsennotierung soll eine außerordentliche Hauptversammlung entscheiden, die voraussichtlich im Juni 2020 stattfindet. Der bisherige Geschäftsbereich "Gas and Power" soll dadurch "vollständige Unabhängigkeit und unternehmerische Freiheit erhalten". Der Bereich umfasst die Aktivitäten in den Bereichen Öl und Gas, konventionelle Energieerzeugung, Energieübertragung und die jeweils dazugehörigen Servicegeschäfte. Darüber hinaus will die Siemens AG ihren Mehrheitsanteil (59 Prozent) an der Siemens Gamesa Renewable Energy in die neue Gesellschaft einbringen. Wie schon bei der Abspaltung von Osram werden die alten Siemens-Aktionäre für die entfallenden Vermögenswerte durch die Ausgabe von Gratis-Aktien an dem neuen Unternehmen entschädigt. Eine Börsennotierung der Aktien wird bis zum September 2020 angestrebt. Siemens gibt dabei die Mehrheit am neuen Unternehmen ab, bleibt aber "als starker Ankeraktionär engagiert", dessen Anteile "auf Sicht die Sperrminorität nicht unterschreiten".

Künftige Orientierung auf "industrielle Digitalisierung und intelligente Infrastruktur"

Parallel zur Trennung von der Energietechnik wolle Siemens "in den Wachstumsmärkten Automatisierung, industrielle Digitalisierung und intelligente Infrastruktur deutlich zulegen und seine führende Stellung weiter ausbauen", erklärte der Vorstandsvorsitzende Kaeser. "Die Siemens-Geschäfte der nächsten Generation werden andere Erfolgsmerkmale haben. An die Stelle von Breite, Größe und Gleichschritt treten Fokus, Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit. Damit sichern wir die Zukunftsfähigkeit unserer Geschäfte im Zeitalter der digitalen Vierten Industriellen Revolution."

Kaeser legte Wert auf die Feststellung, "dass Siemens aus einer Position der Stärke heraus die Weichen für die Zukunft stellt und exzellent positioniert ist". Er will damit wohl vorsorglich den Einwand entkräften, dass Siemens insgesamt ganz gut dasteht und es einmal zur Firmentradition gehörte, auch längere Durststrecken in Kauf zu nehmen, wenn wichtige Geschäftsbereiche zeitweilig keine schwarzen Zahlen schreiben. Bei den Protesten gegen die angekündigten Stellenstreichungen im November 2017 erinnerten Demonstranten an diese Tradition mit einem Zitat von Werner Siemens: "Für augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht."

 

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