November 2018 |
181101 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Bundestag billigte am 30. November ein "Energiesammelgesetz" zur Änderung von insgesamt 15 energierechtlichen Gesetzen und Verordnungen. Das umfangreiche Artikelgesetz wurde von den Abgeordneten der schwarz-roten Koalition gegen die Stimmen aller vier Oppositionsparteien beschlossen. Die wichtigsten Änderungen betreffen das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG), das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und das Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG). Schwerpunkte sind die geplanten Sonderausschreibungen für Wind- und Solarprojekte (181103), die Kürzung der Vergütungen für solare Dachanlagen mit einer Nennleistung zwischen 40 und 750 MW (181102), die erhebliche Ausweitung der sogenannten Innovationsausschreibungen (181106), die Abschaffung des nächtlichen Dauerblinkens von Windkraftanlagen (181108), die Verlängerung der ermäßigten EEG-Umlage für KWK-Eigenversorgungsanlagen (181107), die Beschränkung des Anspruchs auf Anschluß ans L-Gas-Netz (181109) sowie die Ermöglichung von Offshore-Windparks, die ihren Strom nicht in das Höchstspannungsnetz einspeisen, sondern zur elektrolytischen Erzeugung von Wasserstoff verwenden (181105). Kurzfristig gestrichen wurde dagegen eine umfangreiche Gesetzesänderung zur Abschaffung der besonderen Vorschriften für das "Einspeisemanagement" von regenerativ erzeugten Strom im EEG und einer entsprechenden Ausweitung der Redispatch-Regelungen im EnWG (181104)
Der Gesetzentwurf wurde am 5. November vom Kabinett verabschiedet und anschließend als wortgleicher Antrag von Union und SPD ins Parlament eingebracht. Wegen der koalitionsinternen Auseinandersetzung um die vereinbarten Sonderausschreibungen für Wind- und Solarprojekte hatte er sich verzögert und sollte möglichst schnell verabschiedet werden, um Ånfang 2019 in Kraft treten zu können. Umstritten war vor allem die Kürzung der Solarvergütungen, die in der verabschiedeten Fassung ein bißchen abgemildert wurde (181102). Wie der SPD-Abgeordnete Timon Gremmels bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag bekundete, war die Solarkürzung mit seiner Fraktion nicht abgesprochen worden. Demnach hätte die SPD den vom Bundeswirtschaftministerium erarbeiteten Gesetzentwurf nicht hinreichend geprüft, bevor dieser vom Kabinett per Umlaufverfahren beschlossen und anschließend von beiden Koalitionsfraktionen ins Parlament eingebracht wurde. Der Vorgang macht wieder einmal deutlich, wie wenig die von der Exekutive betriebene Gesetzgebung einer sachverständigen Kontrolle durch die Abgeordneten unterliegt – vor allem dann, wenn sie im Eiltempo erfolgt, wie das bei diesem Gesetzespaket wieder mal der Fall war.
Die gesetzgeberische Hektik mißfiel auch dem Bundesrat. In seiner Stellungnahme zu dem Entwurf kritisierte er, "dass zum wiederholten Mal wichtige gesetzliche Neuregelungen zur Energiewende unter hohem Zeitdruck durchgesetzt werden und somit aufgrund der extrem kurzen Fristen für Stellungnahmen weder den Ländern noch den betroffenen Unternehmen und Verbänden ausreichend Gelegenheit zur Beteiligung eingeräumt wird".
Der Bundesrat übte außerdem grundsätzliche Kritik an dem Gesetzespaket selber. Mit Blick auf den schwarz-roten Koalitionsvertrag vom Februar dieses Jahres bedauerte er, dass "nach wie vor die langfristige Perspektive fehlt, wie das Ziel realisiert werden soll, den Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bis 2030 auf 65 Prozent zu steigern und somit die Voraussetzung zur Erreichung der nationalen und internationalen Klimaschutzziele zu schaffen". Er fordere die Bundesregierung daher auf, dieses Ziel umgehend – und nicht erst im Herbst 2019 – mit neuen Ausbaupfaden für alle erneuerbaren Technologien zu unterfüttern.
Bei der ersten Lesung des Gesetzes am 9. November standen jedem Redner gerade mal drei Minuten zur Verfügung, da die Regierungsfraktionen eine Begrenzung der Redezeit auf 27 Minuten durchgesetzt hatten. Linke und Grüne empörten sich vor allem über die Abstriche bei den Solarvergütungen und warfen der Regierung ein Ausbremsen der Energiewende vor. Die AfD schimpfte dagegen über den "erneuerbaren Zappelstrom". Sie unterstützte vorbehaltlos die Braunkohleverstromung und versicherte, dass es mit ihr keinen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien geben werde. Die FDP bekannte sich zwar verbal zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens, verband damit aber die beliebig interpretierbare Einschränkung, dass diese Ziele "nicht mit ideologischem Blindflug und auch nicht mit ausufernder Planwirtschaft" zu erreichen seien.
Die Verabschiedung des Gesetzes am 30. November dauerte knapp eineinhalb Stunden, wobei keiner der insgesamt zwölf Redner – jeweils zur Hälfte von Koalition und Opposition – erwähnenswerte Bemerkungen zum Gesetz selber machte. Es fiel allerdings auf, wie Jens Koeppen (CDU) beim Ausbau der Erneuerbaren auf die Bremse trat ("Wir förden den blinden Zubau trotz der drohenden Dunkelflaute"). Matthias Miersch(SPD) warf ihm deshalb vor, das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel in Frage zu stellen, den Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung bis 2030 auf 65 Prozent zu steigern.
Bizarren Unterhaltungswert hatte der Auftritt des AfD-Abgeordneten Steffen Kotré, der die Energiewende als "Ersatzreligion" und "Ideologie" schmähte, aber selber nichts als krude Ideologie von sich gab: Den Klimawandel habe es schon immer gegeben. Er sei ein altbekanntes natürliches Phänomen, das nicht vom Menschen verursacht werde oder beeinflußt werden könne. Dagegen gefährde der viele "Zappelstrom" aus erneuerbaren Quellen die Stromversorgung. Schon jetzt seien vermehrt "Stromausfälle im Millisekundenbereich" festzustellen. "Wir schrotten unsere Stromversorgung" schwadronierte der Rechtsaußen-Sprecher. Der Verzicht auf "funktionierende moderne Kohlekraftwerke" sei "Verschwendung von Volksvermögen". Schon jetzt würden die ersten Unternehmen wegen der hohen Strompreise Deutschland verlassen, "zum Beispiel Richtung USA, wo sie eine verlässliche Stromversorgung noch haben". - Da gerade in den USA die Verläßlichkeit der Stromversorgung weit geringer ist als in Deutschland, löste diese Behauptung große Heiterkeit im Plenum aus.