Oktober 2017

171012

ENERGIE-CHRONIK


"Alte Kohlekraftwerke könnten entschädigungslos stillgelegt werden"

Kohlekraftwerke, die älter als 25 Jahre sind, können vom Gesetzgeber im Rahmen eines Kohleausstiegsgesetzes stillgelegt werden, ohne daß der Staat zu Entschädigungszahlungen an die Kraftwerksbetreiber verpflichtet ist. In der Regel würde es reichen, den Betreibern eine Übergangsfrist von etwa einem Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes zu gewähren. Längere Übergangsfristen oder Entschädigungszahlungen wären nur dann nötig, wenn die Stillegungen auch die Schließung von Braunkohletagebauen zur Folge hätte. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten der Kanzlei BeckerBüttnerHeld (BBH), das die Initiative "Agora Energiewende" am 23. Oktober veröffentlichte und sicher geeignet ist, den Grünen bei den laufenden Koalitionsverhandlungen mit Union und FDP den Rücken zu stärken (siehe Link).

Die BBH-Juristen untersuchten im Auftrag der Initiative die Frage, ob ein Kohleausstieg analog zum Atomausstieg mit Restlaufzeiten und Abschaltdaten für die Kraftwerke verfassungsrechtlich möglich wäre. Insbesondere sollten sie klären, ob ein solcher Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Eigentum an Kraftwerken zulässig ist. Sie ließen sich dabei vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg leiten (siehe 161201 und Hintergrund Dezember 2012).

Folgt dem Atomkonsens nun ein Kohlekonsens?

Mit dem Urteil zum Atomausstieg habe das Bundesverfassungsgericht der Politik einen großen energiepolitischen Gestaltungsspielraum zugebilligt, meinte Agora-Direktor Patrick Graichen. Dieser gelte auch für den Kohleausstieg. So wie das Atomausstiegsgesetz auf Basis eines Atomkonsenses formuliert wurde, sei auch der Kohleausstieg auf Basis eines Kohlekonsenses möglich. Ein solcher müsse nun zügig vereinbart werden, um die von allen im Bundestag vertretenen Parteien mehrfach bestätigten Klimaschutzziele für die Jahre 2020, 2030, 2040 und 2050 noch erreichen zu können.

BDEW hält "pauschale Durchschnittsbetrachtung" für unzulässig

Nach Ansicht des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) wurde das Gutachten "offensichtlich mit heißer Nadel gestrickt". Eine derart "pauschale Durchschnittsbetrachtung" sei unzulässig, wenn Kraftwerke gegen den Willen ihrer Betreiber stillgelegt werden sollen. Jede Anlage müsse dann für sich betrachtet werden. Dabei seien auch Investitionen zu berücksichtigen, die im Vertrauen auf die bestehende Rechtslage zur Ertüchtigung der Anlagen getätigt wurden. Die genannten Übergangsfristen seien ebenfalls nicht ausreichend und rechtskonform. Wann welche Kraftwerke vom Netz gehen können, lasse sich sowieso nicht "am Schreibtisch von Anwaltskanzleien definieren". Hier bedürfe es fundierter energiewirtschaftlicher Analysen, die beispielsweise die Netzstabilität in einer bestimmten Region im Blick haben müßten. Die künftige Bundesregierung tue deshalb gut daran, den Konsens mit betroffenen Kraftwerksbetreibern, Gewerkschaften und Regionen zu suchen.

 

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