Juni 2016 |
160604 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die schwarz-rote Koalition hat ihr sogenanntes Strommarktgesetz (151103), das seit seiner ersten Lesung am 29. Januar dieses Jahres parlamentarisch nicht weiter vorangekommen war, kurzfristig auf die Tagesordnung des Bundestags gesetzt und am 23. Juni gegen die Stimmen von Linken und Grünen verabschieden lassen. Es handelt sich dabei nicht um ein in sich geschlossenes Gesetz, sondern um ein aus zwölf Artikeln bestehendes Konglomerat zur Änderung von insgesamt elf energiewirtschaftlich relevanten Gesetzen und Verordnungen. Im einzelnen ändern diese Artikel das Energiewirtschaftsgesetz (1), das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (2), die Stromnetzentgeltverordnung (3), die Stromnetzzugangsverordnung (4), die Anreizregulierungsverordnung (5), die Reservekraftwerksverordnung (6), die Elektrizitätssicherungsverordnung (7), die Biomasse-Nachhaltigkeitsverordnung (8), das Erneuerbare-Energien-Gesetz (10), die Anlagenregisterverordnung (10) sowie das Dritte Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften (11).
Das Gesetz gelangte erst nachträglich auf die Tagesordnung des Bundestags, zusammen mit einer Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses vom Vortag. Die Verabschiedung in zweiter und dritter Lesung erfolgte zu später Stunde und nach einer Debatte, die auf 25 Minuten begrenzt war. Die Linken-Abgeordnete Eva Bulling-Schröter kritisierte in dieser kurzen Aussprache die Eile, mit der nun der Gesetzentwurf plötzlich durchs Parlament gebracht wurde: Ihre Fraktion habe den 36-seitigen Änderungsantrag der Koalition gerade mal 75 Minuten vor Beginn der Ausschußsitzung erhalten: "Meine Damen und Herren von der Koalition, so gehen Sie nicht nur mit der Opposition um, sondern auch mit ihren eigenen Abgeordneten. Das finde ich wirklich beschämend."
Umstrittenster Punkt des Gesetzes ist der Abbau der bestehenden Kohle-Überkapazitäten durch die Stillegung von acht Braunkohle-Kraftwerksblöcken mit einer Leistung von insgesamt 2,7 Gigawatt (160503, 151005). Diese Kraftwerke gehen vom Netz, werden aber nicht endgültig stillgelegt, sondern stehen noch vier Jahre als "Sicherheitsbereitschaft" zur Verfügung, falls unerwartet ein Mangel an Kraftwerken auftreten und die Versorgungssicherheit gefährden sollte. Den Betreibern wird diese "Sicherheitsbereitschaft" mit insgesamt 1,6 Milliarden Euro honoriert. Die netztechnische Begründung gilt freilich nur als Vorwand, um die Vergütungen in die Netzkosten eingehen zu lassen und so auf die Stromverbraucher abzuwälzen (siehe Hintergrund).
"Eigentlich brauchen wir diese Kapazitätsreserve in einem funktionierenden Strommarkt nicht", räumte der SPD-Abgeordnete Johann Saathoff ein, "aber diese Kapazitätsreserve ist für den Fall einer Marktstörung, zum Beispiel, wenn ein Stromlieferant kurzfristig ausfällt, notwendig. Das kann durch Unfall, einen Anschlag, durch Konkurs passieren. Dann springt die Kapazitätsreserve ein und stellt die Versorgungssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger her."
"Das ist am Ende nichts anderes als der Einstieg in die Subventionierung der Braunkohle", kritisierte dagegen Oliver Krischer als Sprecher der Grünen-Fraktion. "Statt Geld für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu investieren, gibt es 1,6 Milliarden Euro für RWE und das Nachfolgeunternehmen von Vattenfall für Braunkohlekraftwerke. Dort wird diese Reserve überhaupt nicht gebraucht, denn sie steht erst nach elf Tagen zur Verfügung. Dann ist entweder der Blackout da, oder die Knappheitssituation ist vorbei. Es geht nur darum, die Braunkohle zu subventionieren. Das ist ein Unding. Das kann nicht sein."
Die ohnehin mehr als zaghafte Reform der "vermiedenen Netzentgelte", die für Neuanlagen ab dem Jahr 2021 gelten sollte (siehe Hintergrund), entfiel nun ganz. "Dabei haben wir inzwischen in einigen ländlichen Regionen Ostdeutschlands um 5 Cent höhere Netzentgelte als in Süddeutschland", kritisierte die Linken-Abgeordnet Bulling-Schröter, "das ist fast die EEG-Umlage noch einmal obendrauf". Der Wirtschaftsausschuß begründete die Streichung dieses Punktes in seiner Beschlußempfehlung damit, daß im zweiten Halbjahr 2016 eine umfassende Lösung für eine Neuregelung der vermiedenen Netzentgelte verabschiedet werden solle.
Das Strommarktgesetz schafft unter anderem die rechtlichen Grundlagen für ein "Marktstammdatenregister" . Dieses Register wird bis Anfang 2017 bei der Bundesnetzagentur errichtet. Es soll alle relevanten Stammdaten über Unternehmen und Anlagen der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft umfassen. Ziel ist es, die Verfügbarkeit und Qualität energiewirtschaftlicher Daten zu verbessern. Zudem soll das Register dazu dienen, den Aufwand der Meldepflichten zu verringern. Die nähere Ausgestaltung erfolgt durch eine Rechtsverordnung.
Ferner errichtet und betreibt die Bundesnetzagentur bis spätestens 1. Juli 2017 eine elektronische Plattform, um der Öffentlichkeit jederzeit aktuelle Informationen zur Verfügung zu stellen. Vor allem geht es dabei um Stromerzeugung, Erzeugung, Netzlast, Im- und Exporte von Strom, Verfügbarkeit von Netzen und von Energieerzeugungsanlagen sowie Kapazitäten und Verfügbarkeit von grenzüberschreitenden Verbindungsleitungen.