Ministerium zieht untauglichen Arbeitsentwurf zur Reform des Vergaberechts
zurück
In ihrem Koalitionsvertrag vom November 2013 haben Union und SPD vereinbart,
das Bewertungsverfahren bei der Neuvergabe von Konzessionen für die Verteilernetze
eindeutig und rechtssicher zu regeln sowie die Rechtssicherheit im Netzübergang
zu verbessern (131101). Damit soll das
Vergaberecht kommunalfreundlicher werden, als es es sich derzeit aufgrund von
§ 46 im Energiewirtschaftsgesetz
sowie der darauf aufbauenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (131208)
und der Auslegung durch das Bundeskartellamt (141215)
darstellt. Inzwischen hat das Bundeswirtschaftsministerium dazu einen "Arbeitsentwurf"
kursieren lassen, der aber nach Ansicht von Fachleuten völlig untauglich
ist und das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel sogar konterkariert. Aufgrund
der Proteste hat sich das Ministerium von dem Entwurf distanziert und wissen
lassen, daß es ihn nicht weiter zu verwenden gedeckt.
"Entwurf verstärkt bestehende Rechtsunsicherheiten anstatt sie aufzulösen"
"Lieber kein neues Gesetz als dieses" schrieb die auf kommunale Belange
spezialisierte Anwaltskanzlei Becker-Büttner-Held (BBH) auf ihrer Internetseite.
"Der Arbeitsentwurf des BMWi läuft den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag
diametral entgegen. Er verstärkt bestehende Rechtsunsicherheiten anstatt
sie aufzulösen und programmiert Rechtsstreitigkeiten damit vor. Der kommunale
Gestaltungsspielraum bei der Konzessionsvergabe wird über die ohnehin schon
verfassungsrechtlich bedenkliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinaus
weiter eingeschränkt und damit quasi auf Null reduziert."
Wuppertal-Institut nennt fünf Punkte, die berücksichtigt werden
müßten
Das Wuppertal-Institut begrüßte die Rücknahme des Arbeitsentwurfs
ebenfalls. Das Papier habe zwar zahlreiche der Schwachstellen aufgegriffen,
die das Institut in seinen Studien aufzeigte (130414,
150512), stelle aber in wichtigen Punkten einen deutlichen
Rückschritt dar. Um die bestehenden Rechtsunsicherheiten zu beseitigen
und die verfassungsrechtlich garantierte kommunale Selbstverwaltung gemäß
Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes zu respektieren, müßten fünf
zentrale Punkte berücksichtigt werden:
- Es sollte zweifelsfrei festgelegt werden, daß bei Netzübernahmen
und Rekommunalisierungen der Netzkaufpreis nach dem objektivierten Ertragswertverfahren
zu ermitteln ist. Denn nur so kann ein Neukonzessionär in die Lage versetzt
werden, im Rahmen der Anreizregulierung (mit behördlicher Zuweisung von
Erlösobergrenzen) eine Refinanzierung seiner Netzinvestitionen zu erreichen.
-
Die Kommunen sollten einen größeren Spielraum bei den Auswahlkriterien
für die Konzessionsvergabe erhalten. Die gegenwärtige Regelung gibt
einseitig wettbewerblichen Aspekten den Vorzug vor der verfassungsrechtlich
garantierten kommunalen Selbstverwaltung. Das begünstigt die Altkonzessionäre
und ignoriert berechtigte Interessen der Gemeinden wie regionale Wertschöpfung
und Verbesserung der Gemeindefinanzen.
-
Wenn Kommunen den Verteilnetzbetrieb vollständig selbst übernehmen
wollen, sollten sie eine Inhouse-Vergabe vornehmen können, wie das heute
schon bei der Vergabe von Wasserkonzessionen und Fernwärmenetzgestaltungen
erlaubt ist. Die Inhouse-Vergabe würde durch Streichung des §
46 Abs. 4 EnWG ermöglicht.
-
Unterlegene Bieter sollten künftig nur dann eine Rechtsverletzung im Vergabeverfahren
geltend machen können, wenn sie den Fehler zuvor gegenüber der ausschreibenden
Gemeinde angezeigt bzw. gerügt haben. Damit würde ausgeschlossen,
daß unterlegene Bieter erst dann vermeintliche Fehler bei den Auswahlkriterien
im Vergabeverfahren anmelden, wenn der Zuschlag an ein anderes Unternehmen gegangen
ist.
-
Die Kommunen sollten zu jeder Zeit das Recht haben, die zur Beurteilung eines
Netzes erforderlichen Daten zu bekommen, und nicht erst ein Jahr vor Bekanntmachung
des Vertragsendes, wie dies derzeit der Fall ist. So würden Altkonzessionäre
gehindert, auf Zeit zu spielen und die notwendigen Auskünfte nicht oder
nur schleppend zu erteilen.
- Die Verpflichtung zur Weiterzahlung der Konzessionsabgaben nach Vertragsende,
die derzeit auf ein Jahr begrenzt ist, sollte unbegrenzt gelten. Dadurch würden
keine Zahlungsausfälle mehr entstehen, wenn Altkonzessionäre die
Verhandlungen bewußt verzögern, um Gemeinden finanziell unter Druck
zu setzen.
Links (intern)
- E.ON, RWE und EnBW verfügen noch immer über die meisten Konzessionsverträge
(150512)
- Titisee-Neustadt wehrt sich gegen Pressionen des Bundeskartellamts (141215)
- Monopolkommission gegen Rekommunalisierung (140712)
- RWE zwingt Rösrath zur Neuausschreibung der Strom-Konzession (140307)
- E.ON muß Stromnetze nicht an Stadtwerke herausgeben (131208)
- RWE feiert Zurückgewinnung eines kleinen Konzessionsgebiets als großen
Erfolg (130913)
- Studie untersucht die Tricks bei der Neuverhandlung von Konzessionsverträgen
(130414)
- Bundesgerichtshof bestätigt Kartellamts-Entscheidung zu Konzessionsabgaben
(121118)
- Stuttgarter OB hält Bürgerbegehren zur Rekommunalisierung für
rechtswidrig (120514)
- Link-Liste zu Konzessionsabgaben
/ Konzessionsverträgen
- Link-Liste zur (Re-)Kommunalisierung
der Stromversorgung