Juni 2010 |
100601 |
ENERGIE-CHRONIK |
Dem russischen Staatskonzern Gazprom ist es gelungen, die westeuropäischen Energiekonzerne noch stärker als bisher in seine Geschäftspolitik einzubinden. Auf dem mit Unterstützung der russischen Regierung veranstalteten St. Petersburger Wirtschaftsforum, das in diesem Jahr vom 17. bis 19. Juni stattfand, kam es zur Unterzeichnung entsprechender Absichtserklärungen mit der staatlichen niederländischen Gasunie, dem französischen Strommonopolisten EDF sowie dem ebenfalls stark mit dem französischen Staat verflochtenen Energiekonzern GDF Suez.
Marcel Kramer, der hier zusammen mit Alexey Miller (rechts) das Abkommen über strategische Zusammenarbeit zwischen Gasunie und Gazprom unterzeichnet, wird ab Oktober Aufsichtsratschef von South Stream und damit faktisch selber in die Dienste von Gazprom treten. Im Hintergrund assistieren Maria van der Hoeven und Viktor Zubkov Pressefoto Gazprom
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Am 18. Juni unterzeichneten die Chefs von Gazprom und Gasunie, Alexey Miller und Marcel Kramer, eine Absichtserklärung über künftige strategische Zusammenarbeit. Die Zeremonie wurde flankiert von der niederländischen Wirtschaftsministerin Maria van der Hoeven und dem Gazprom-Aufsichtsratsvorsitzenden Viktor Zubkov, der zugleich einer der beiden stellvertretenden Ministerpräsidenten Rußlands ist. Das Memorandum sieht eine weitere Vertiefung der Zusammenarbeit in den Bereichen Gastransport-Infrastruktur, unterirdische Gasspeicher und Bau der Nord Stream-Pipeline vor. Darüber hinaus will man in den Bereichen LNG, Umweltschutz, Energieeffizienz, Informations- und Kulturaustausch, Personal-Management sowie in internationalen Gremien kooperieren.
Marcel Kramer, der das Dokument für die Gasunie unterzeichnete, wird im Oktober Aufsichtsratsvorsitzender des Pipeline-Projekts "South Stream" und damit faktisch in die Dienste von Gazprom treten. Bisher war nur bekannt, daß Kramers Vertrag bei der Gasunie mit Erreichen des sechzigsten Lebensjahres im August endet und als Nachfolger Paul van Gelder ausersehen ist. Bei einer Pressekonferenz anläßlich des Petersburger Wirtschaftsforums teilte Gazprom-Chef Miller beiläufig die neue Tätigkeit des Gasunie-Chefs mit: "Ich habe das Vergnügen, ihnen den zukünftigen Chef des Projekts South Stream vorzustellen, Marcel Kramer."
An der South Stream AG, die wie die Ostsee-Projektgesellschaft Nord Stream AG in Zug in der Schweiz registriert ist, waren bisher Gazprom und der italienische Energiekonzern ENI jeweils zur Hälfte beteiligt. Unter Kramers Regie wird dem Konsortium auch die Electricité de France (EDF) angehören. Die Beteiligung der EDF war im November 2009 vereinbart worden. Es handelt sich um Frankreichs Gegenleistung dafür, daß Gazprom der Aufnahme von GDF Suez in das Konsortium Nord Stream AG für den Bau der Ostsee-Pipeline zustimmte. Außerdem mußte die GDF Suez ihre Beteiligung an der ostdeutschen VNG der Gazprom überlassen (091102). Die Aufstockung des Gazprom-Anteils an VNG wurde bereits im Februar vollzogen (100211). Auf dem Petersburger Wirtschaftsforum wurden nun auch der Einstieg von GDF Suez in das Ostsee-Projekt und die Einbeziehung der EDF in das Konsortium South Stream durch entsprechende Verträge besiegelt. Bei der Nord Stream AG geben BASF und E.ON jeweils 4,5 Prozent ab, so daß auf GDF Suez als neuer Minderheitspartner von Gazprom neun Prozent entfallen. Bei der South Stream AG verzichten Gazprom und ENI auf jeweils zehn Prozent zugunsten der zwanzigprozentigen Beteiligung von EDF.
Die Gaspipeline "South Stream" war von Rußland ursprünglich konzipiert worden, um das Pipeline-Projekt "Nabucco" zu durchkreuzen, mit dem die EU die starke Abhängigkeit Westeuropas von russischen Gaslieferungen mildern wollte (060605). Auch der Ostsee-Pipeline Nord Stream wurde seitens der EU und insbesondere ihrer osteuropäischen Mitglieder mit gemischten Gefühlen begegnet (090102). Inzwischen sind aber bei beiden Projekten die Interessen der Gazprom und des Kreml derart mit den Interessen der westeuropäischen Energiekonzerne und deren politischer Lobby vermischt, daß von einer Konkurrenz zu "Nabucco" allenfalls noch partiell bzw. kommerziell die Rede sein kann. Für die EU gilt schon seit einiger Zeit die Sprachregelung, alle Pipeline-Neubauten als Beitrag zur Diversifizierung der europäischen Gasversorgung zu begrüßen (090402). Entsprechend hängt die Realisierung von "Nabucco" inzwischen auch mehr vom geschäftlichen Kalkül der Beteiligten als vom politischen Rückenwind ab (090703).
Neben der Aufnahme von GDF Suez in das Ostsee-Konsortium vereinbarten Gazprom und der französische Energiekonzern eine Kooperation auf dem Gebiet der Energieeinsparung und -effizienz. Die enorme Energievergeudung, die in Rußland noch immer stattfindet, soll zunächst im Rahmen von Pilotprojekten in Moskau, St. Petersburg und Obnins eingedämmt werden.
Ferner unterzeichneten im Rahmen des Petersburger Wirtschaftsforums EDF-Chef Henri
Proglio und Rosatom-Generaldirektor Sergej Kirijenko eine Absichtserklärung zur
Zusammenarbeit beim Bau von Kernkraftwerken und bei der Entwicklung von Brennelementen.
Zur Organisierung des diesbezüglichen Erfahrungsaustausch und wechselseitiger
Besuche in den Fertigungsstätten werden beide Unternehmen Arbeitsausschüsse
einsetzen.