Dezember 2009 |
091204 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die zweite Runde des EU-Handels mit Emissionszertifikaten hat sich bisher vor allem für Kriminelle gelohnt. Wie die in Den Haag ansässige EU-Polizeibehörde Europol am 9. Dezember mitteilte, sind durch betrügerische Praktiken mit der Mehrwertsteuer-Abrechnung insgesamt fünf Milliarden Euro an Steuergeldern verloren gegangen. Betroffen waren vor allem Frankreich, die Niederlande, Großbritannien, Dänemark und Spanien. Im Herbst 2008 gab es in diesen Staaten eine starke Zunahme des Handels mit Emissionszertifikaten. Der Höhepunkt wurde im Mai 2009 erreicht, als mehrere hundert Millionen EU-Emissionsgutschriften (EUA) zu ungefähr 12,50 Euro pro Stück den Besitzer wechselten. Der lebhafte Handel diente aber größtenteils nur betrügerischen Zwecken. Nachdem dies erkannt wurde und die Staaten entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen hatten, verringerte sich das Handelsvolumen plötzlich um bis zu neunzig Prozent.
Die Betrüger nutzten den Umstand, daß die Umsatzsteuer nur für Umsätze im Inland erhoben wird und sie deshalb keine Mehrwertsteuer bezahlen müssen, wenn sie Zertifikate im Ausland kaufen. Erst beim anschließenden Weiterverkauf an Erwerber im Inland wird die Mehrwertsteuer fällig. Sie haben aber drei Monate Zeit, um dieser Verpflichtung gegenüber dem Finanzamt nachzukommen. Dies genügt, um die Zertifikate inklusive Mehrwertsteuer an einen Dritten zu verkaufen, der sie seinerseits weiterverkauft und dafür vom Finanzamt binnen eines Monats die gezahlte Mehrwertsteuer zurückerhält. Wenn der dritte oder ein weiterer Erwerber die Zertifikate wieder ins Ausland verkauft, können sie von dort in der beschriebenen Weise erneut in den inländischen Verkehr gebracht werden. Dieses Betrugs-Karussell dreht sich solange, bis der Betrüger am Anfang der Kette mitsamt der einbehaltenen Mehrwertsteuer einfach verschwindet, um sich dem Zugriff des Finanzamtes und der Strafverfolgung zu entziehen. Die anderen Beteiligten der Kette stecken mit dem Betrüger oft unter einer Decke. Sie müssen aber nicht unbedingt Komplizen sein.
Diese Art von Mehrwertsteuer-Betrug ist grundsätzlich mit jeder Ware möglich. Besonders gut eignen sich kleine, teure Waren wie Mobilfunkgeräte, Speicherchips, Edelmetalle oder Parfums, die ohne große Transportkosten und sonstigen Aufwand schnell umgeschlagen werden können. Noch idealer sind aber Emissionszertifikate, da sie rein virtuell gehandelt und an den computerisierten Handelsplätzen blitzschnell umgeschlagen werden können. Europol befürchtet deshalb, daß sich ähnliches nun auch an den Spotmärkten für Strom und Gas ereignen wird.
Nach Aufdeckung der Betrügereien mit Zertifikaten im Sommer 2009 setzte die Kommission den Emissionshandel auf die Liste solcher Lieferungen, auf die das "Reverse Charge"-Verfahren angewendet werden kann. Damit wird die Steuerschuld vom Verkäufer auf den Käufer verschoben. Mit der Vorsteuer-Erstattung entfällt auch die Betrugsmöglichkeit. Frankreich, die Niederlande, Großbritannien und Spanien machten sofort Gebrauch von dieser Lösung. In Deutschland gilt die Umkehrung bisher nicht. Bisher soll es hier nach Angaben der EEX auch keine begründeten Verdachtsfälle gegeben haben. Dies dürfte allerdings darauf zurückzuführen sein, daß der Handel mit Zertifikaten der zweiten Handelsperiode an der EEX erst am 16. Januar 2009 begonnen hat.
Von den jetzt aufgedeckten Betrügereien zu unterscheiden sind die Milliardengewinne, die sich die Energiekonzerne in der ersten Handelsperiode verschafften, indem sie den Börsenpreis ihrer kostenlos erhaltenen Emissionszertifikate auf den Strompreis aufschlugen (060303). Im Unterschied zu anderen Branchen konnten sie diese Preiserhöhungen mühelos durchsetzen, da es faktisch keinen Wettbewerb gab. Ihren Praktiken war auch nicht mit dem Strafrecht beizukommen, und die Ahndung durch die Kartellbehörden verlief sehr glimpflich (061203, 070903). RWE konnte aus seiner "Bestrafung" sogar noch ein Geschäft machen (080216). Härter traf die Kraftwerksbetreiber, daß das neue Zuteilungsgesetz ihnen als Ausgleich eine deutlich höhere CO2-Minderung abverlangte als dem produzierenden Gewerbe (060401).
Die Europäische Kommission hatte bereits am 31. Mai 2006 festgestellt, "daß der Steuerbetrug immer besorgniserregender Ausmaße annimmt und daß es für die Mitgliedstaaten immer schwerer wird, im Alleingang dagegen vorzugehen". Neben einer verbesserten Zusammenarbeit regte sie eine Änderung des Mehrwertsteuersystems an.
Am 30. Oktober 2009 stellte die Kommission das Ergebnis einer Studie vor, die unter anderem untersuchte, wie groß im Jahr 2006 bei den 25 Mitgliedstaaten die Differenz zwischen der geschuldeten Mehrwertsteuer und den tatsächlich geleisteten Zahlungen war. Die ermittelten Fehlbeträge müssen nicht unbedingt von Betrügereien herrühren, da sie beispielsweise auch durch Insolvenzen verursacht sein können. Sie können aber doch als Anhaltspunkt dafür dienen, in welchen Ländern die meisten Steuern hinterzogen werden. Spitzenreiter waren demnach Griechenland, die Slowakei, Ungarn, Italien, Lettland und Litauen mit Differenzen zwischen 22 bis 30 Prozent. Deutschland lag mit zehn Prozent im Mittelfeld:
Mitgliedsstaat |
Theoretische MwSt-Schuld in Mio. Euro |
MwSt-Einnahmen in Mio. Euro |
MwSt-Lücke in Mio. Euro |
MwSt-Lücke in Prozent |
AT |
22 844 |
19 735 |
3 108 |
14 % |
BE |
25 360 |
22 569 |
2 791 |
11 % |
CZ |
9 216 |
7 541 |
1 675 |
18 % |
DE |
164 115 |
147 150 |
16 965 |
10 % |
DK |
23 611 |
22 560 |
1 051 |
4 % |
EE |
1 325 |
1 215 |
111 |
8 % |
ES |
63 013 |
61 595 |
1 418 |
2 % |
FI |
15 176 |
14 418 |
758 |
5 % |
FR |
140 817 |
131 017 |
9 800 |
7 % |
GR |
21 746 |
15 183 |
6 563 |
30 % |
HU |
8 882 |
6 813 |
2 070 |
23 % |
IE |
14 043 |
13 802 |
241 |
2 % |
IT |
119 197 |
92 860 |
26 337 |
22 % |
LT |
2 335 |
1 826 |
510 |
22 % |
LU |
1 961 |
1 941 |
20 |
1 % |
LV |
1 751 |
1 374 |
378 |
22 % |
MT |
463 |
410 |
53 |
11 % |
NL |
41 269 |
39 888 |
1 381 |
3 % |
PL |
23 784 |
22 127 |
1 657 |
7 % |
PT |
14 371 |
13 757 |
614 |
4 % |
SE |
29 294 |
28 487 |
807 |
3 % |
SI |
2 764 |
2 647 |
116 |
4 % |
SK |
4 632 |
3 320 |
1 312 |
28 % |
UK |
155 697 |
128 721 |
26 976 |
17 % |
EUR-25 |
907 667 |
800 955 |
106 712 |
12 % |
Quelle: Mitteilung der Kommission vom 30. 10.
2009 (IP/09/1655)
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