Dezember 2009

091202

ENERGIE-CHRONIK



Stromalarm im Süden Frankreichs: Für die Region Provence-Alpes-Côte d’Azur hat der Netzbetreiber RTE eine besondere Internetseite eingerichtet, die über die aktuelle Netzlast informiert. Unter anderem enthält sie diese Karte. Mit der Blink-Anzeige "Alerte!" werden die Verbraucher zum Stromsparen aufgerufen. Besonders kritisch ist die Situation auch in der Bretagne.

Stromknappheit in Frankreich ließ Börsenpreis explodieren

Frankreich litt im Dezember wieder mal unter einer ausgeprägten Stromknappheit, die auf die Abhängigkeit von der Kernenergie und andere strukturelle Schwächen der französischen Stromversorgung zurückzuführen ist. Der Netzbetreiber RTE mußte große Strommengen aus Deutschland und anderen Ländern importieren, um einen Zusammenbruch der Stromversorgung zu verhindern. In der Bretagne und in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur drohten Stromabschaltungen (siehe Karte). Am 16. Dezember riefen der Netzbetreiber RTE und die Vereinigung der Bürgermeister (AMF) die Einwohner des Landes zum sparsamen Umgang mit Licht und anderen Stromanwendungen auf, besonders in der Zeit zwischen 17 und 19 Uhr, wenn die Netzbelastung ihren Höhepunkt erreicht. Wie gering die französischen Reserven sind, zeigte sich bereits am 18. Oktober, als am Spotmarkt der neuen Epex (091209) bei der Auktion für das französische Marktgebiet die Strompreise für den folgenden Tag regelrecht explodierten und nur durch die technischen Grenzen des Börsensystems bei 3000 Euro pro Megawattstunde gestoppt wurden (siehe Grafik).

Kälteeinbruch überfordert den größtenteils aus Kernenergie bestehenden Kraftwerkspark


Aufgrund von Fehlprognosen für Nachfrage und Angebot schossen am 18. Oktober die Preise am französischen Spotmarkt für den folgenden Liefertag in schwindelerregende Höhen. Auch die Notbremsen des Börsen-Reglements versagten. Erst die technische Grenze des Systems stoppte die Preisexplosion.

Auslöser der Stromkrise war ein Kälteeinbruch, der die Temperaturen um sechs bis acht Grad unter das saisonübliche Niveau sinken ließ, ansonsten aber in dieser Jahreszeit nichts ungewöhnliches darstellt. Nach Angaben von RTE bewirkt das Sinken der Temperatur um einen Minusgrad einen Mehrbedarf an Kraftwerksleistung von etwa 2100 Megawatt (MW). Hauptursache dafür sind die sieben Millionen Haushalte mit Elektroheizungen, was der Hälfte aller in Europa installierten Elektroheizungen entspricht. Diesem sprunghaften Anstieg des Stromverbrauchs kann aber die Erzeugung der Kraftwerke nur mühsam folgen, da sie zu 85 Prozent aus Kernkraftwerken kommt.

Die insgesamt 58 französischen Reaktoren haben zwar eine imposante Leistung, die rechnerisch zur Bedarfsdeckung mehr als ausreicht und Frankreich zum führenden Stromexporteur Europas macht. Es fehlt dem Land aber seit jeher an ausreichender Kraftwerkskapazität zur Abdeckung von Mittel- und Spitzenlast. Unter anderem führt dies dazu, daß die Kernkraftwerke nicht nur ein gleichbleibendes Grundlastband rund um die Uhr erzeugen, sondern auch zum Ausgleich von Schwankungen der Mittellast herangezogen werden. Durch die häufigen Lastwechsel verschleißen sie schneller, was wiederum eine der Ursachen dafür war, daß just zum Zeitpunkt des Kälteeinbruchs zehn Kernkraftwerke außer Betrieb waren. Insgesamt erreichten die französischen Kernkraftwerke im Jahr 2009 nur eine Verfügbarkeit von 78 Prozent. Nach Ansicht der Electricité de France (EDF) sind auch Streiks daran schuld, daß die Instandhaltung der Kernkraftwerke gelitten hat. Die bei EDF gut verankerte Gewerkschaft CGT kontert mit dem Vorwurf, der Staatsmonopolist habe Milliarden in ausländische Erwerbungen gesteckt und dafür bei der Instandhaltung des eigenen Kraftwerksparks gespart.

"Wahnsinnspreise" am Epex-Spotmarkt hätten eigentlich durch eine zweite Auktion verhindert werden müssen

Während die Stromknappheit in Frankreich landesweit die Gemüter bewegte und auch international Beachtung fand, ereignete sich der bizarre Strompreisanstieg am Epex-Spotmarkt fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Zu den Ausnahmen gehörte die Wirtschaftszeitung "Les Echos" (20.11.), die ihre Leser über "Wahnsinnspreise für Strom" (Coup de folie sur les prix de l'électricité) informierte. Die Regulierungsbehörde CRE (Commission de régulation de l'énergie) veröffentlichte dazu am 20. November ein fünfseitige Stellungnahme, aus der hervorgeht, daß auch diese Strompreisexplosion vor dem Hintergrund der strukturellen Schwäche der französischen Stromversorgung zu sehen ist. Hinzu kamen allerdings Versäumnisse bei der Prognostizierung von Nachfrage und Angebot sowie das Verhalten des Börsenbetreibers Epex, der keine zweite Auktion durchführte, obwohl dies bei solchen extremen Preissprüngen vorgesehen ist.

Im Unterschied zum Spotmarkt für das deutsch-österreichische Marktgebiet, an dem die Preise sowohl nach oben wie nach unten bis zu 3000 Euro/MWh erreichen können und am 4. Oktober auf bis zu minus 500 Euro/MWh abgestürzt waren (091201), ist die Preisspanne am französischen Spotmarkt noch auf den positiven Bereich zwischen 1 Cent/MWh und 3.000 Euro/MWh beschränkt. Dieses Limit wurde am 18. Oktober für Lieferungen am darauffolgenden 19. Oktober (Montag) zwischen 8 und 12 Uhr mehr als ausgeschöpft und die Preisbildung nur durch die technische Grenze des Systems gestoppt (siehe Grafik). Wie die Regulierungsbehörde ermittelte, lag dies zunächst einmal daran, daß einerseits der Netzbetreiber RTE den voraussichtlichen Strombedarf zu gering und andererseits die Kraftwerksbetreibervereinigung UFE die voraussichtlich zur Verfügung stehende Erzeugungskapazität zu hoch angesetzt hatten. Als die Diskrepanzen sich abzeichneten, sei der Stromhandel am Spotmarkt deshalb unter eine "brutale Anspannung" geraten.

Die Auktion endet für das französische Marktgebiet normalerweise um 11 Uhr, während sie für die Schweiz schon um 10.30 Uhr und für das deutsch-österreichische Marktgebiet erst um 12 Uhr abgeschlossen wird. Um 10.59 Uhr erkannte das Management der Börse, daß bei der französischen Auktion die Nachfrage und das Angebot in einer Weise aus den Fugen geraten waren, die nach den hauseigenen Regeln die Annullierung der Auktion und die Durchführung einer zweiten erforderlich gemacht hätte. Dazu kam es aber nicht mehr. Der Grund dafür war anscheinend, daß man unter Zeitdruck geraten war und nicht noch eine weitere Verzögerung des Börsengeschehens für die insgesamt drei Marktgebiete in Kauf nehmen wollte. Denn kurz zuvor war am Spotmarkt für die Schweiz eine zweite Auktion durchgeführt worden und hatte dort das "Fixing" um eine halbe Stunde verzögert. Jedenfalls führte nun das Börsenmanagement um 11.13 Uhr das Fixing für Frankreich durch, wodurch die "Wahnsinnspreise" gültig wurden.

Importe bewahrten das Land vor Schlimmeren - aber die Kapazität der Kuppelstellen war fast erschöpft

Die Regulierungsbehörde hält es für fraglich, ob eine zweite Auktion tatsächlich den erwünschten Erfolg gebracht hätte. Offenbar stand der Nachfrage einfach kein entsprechendes Angebot gegenüber. Das Schlamassel, das der Stromhandel anrichtete, hatte aber wenigstens technisch keinen gravierenden Folgen: In den vier Stunden, in denen das Stromdefizit trotz "Wahnsinnspreisen" nicht behoben werden konnte, floß über die Grenzen Frankreichs stündlich eine Leistung von fast 7200 Megawatt. Damit war die Kapazität der grenzüberschreitenden Verbindungen von insgesamt rund 9000 MW aber auch schon fast erschöpft, zumal die wichtigsten Kuppelstellen mit Deutschland und Belgien zu hundert Prozent und die mit der Schweiz zu 91 Prozent ausgelastet waren. Der Import aus Spanien war wegen Reparaturarbeiten nicht möglich, und die Verbindung mit Italien stand aus Stromhandelsgründen ebenfalls nicht für Lieferungen nach Frankreich zur Verfügung.