September 2009 |
090907 |
ENERGIE-CHRONIK |
Eine auf Politikberatung spezialisierte PR-Agentur hat ein Strategiepapier verfaßt, das dem E.ON-Konzern Ratschläge erteilt, wie er die öffentliche Meinung zugunsten der Kernenergie und damit das Ergebnis der Bundestagswahl beeinflussen könnte. Das 108 Seiten starke Papier wurde kurz vor den Bundestagswahlen verschiedenen Medien zugespielt. Sowohl E.ON als auch die Agentur behaupten, es sei ohne Auftrag des Konzerns verfaßt worden und nur eine Art Bewerbungspapier gewesen. Dagegen spricht allerdings, daß eine derart voluminöse Arbeit kaum ohne begründete Aussicht auf Honorierung erstellt wird. Unbestritten war die Agentur zum damaligen Zeitpunkt für E.ON tätig. Laut Deckblatt ist der Schriftsatz "für die E.ON Kernkraft GmbH" bestimmt. E.ON wird ferner an zahlreichen Stellen des Textes als Adressat der Ratschläge genannt.
Das Papier mit dem Titel "Kommunikationskonzept Kernenergie - Strategie, Argumente und Maßnahmen" datiert vom 19. November 2008. Verfasser ist die Berliner Agentur PRGS, die sich als "Unternehmensberatung für Politik- und Krisenmanagement" bezeichnet. Im ersten Satz heißt es: "Das Gesamtziel der vorgelegten Strategie ist es, die politisch-öffentliche Debatte um die Verlängerung der Restlaufzeiten deutscher Kernkraftwerke positiv zu beeinflussen - unter der Prämisse, dabei die Reputation von E.ON zu wahren und auszubauen." Die Agentur habe zu diesem Zweck unter anderem zahlreiche zahlreiche vertrauliche Gespräche mit Vertretern aus Politik, Energiewirtschaft und Medien geführt. "Selbstverständlich wurden diese Gespräche ohne Nennung E.ONs oder des Auftrags geführt", heißt es in diesem Zusammenhang.
Das Papier enthält im Grunde bekannte Sachverhalte aus Politik und Energiewirtschaft, die mit dem Gestus professioneller Durchblicker und den üblichen Handlungsempfehlungen des PR-Gewerbes serviert werden. Beispielsweise gelangen die Verfasser zu der Erkenntnis, daß als treibende Kraft der SPD im Bereich Klima- und Energiepolitik das Umweltministerium mit Minister Gabriel und den beiden Staatssekretären Müller und Machnig anzusehen sei. Unterstützt werde Gabriels Ministerium durch Umweltpolitiker aus dem Bundestag wie den stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Ulrich Kelber oder Marco Bülow. Der Wirtschaftsflügel der SPD sei dagegen politisch geschwächt wegen des Verhaltens des ehemaligen Wirtschaftsministers Wolfgang Clement im hessischen Landtagswahlkampf (080115), des angekündigten Rückzugs des wirtschaftspolitischen Sprechers Rainer Wend sowie des Bekanntwerdens einer "allzu großen Nähe zu Energieversorgern" wie beim Abgeordneten Reinhard Schultz (020815,070514).
Keine ganz neue Erkenntnis ist auch, was die Verfasser über die Bedeutung von möglichst seriös wirkenden Gutachten für ein wirksames Lobbying schreiben: "Grundlage des Lobbyings ist fundiertes MateriaL. Politiker bevorzugen wie Journalisten quellenbasiertes Informationsmaterial, das die Neutralität der Information suggeriert. (...) Studien renommierter Institute gehen zwar ins Geld, rentieren sich jedoch, da die Glaubwürdigkeit des beauftragten Instituts nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen werden kann."
Generell wird E.ON geraten, in Sachen Kernenergie keine massive Propaganda zu betreiben, weil das nur gegenteilige Wirkung habe. Erfolgreicher sei es, auf diskrete PR-Arbeit und Imagepflege zu setzen, indem sich das Unternehmen als Förderer der erneuerbaren Energien und des Klimaschutzes präsentiere. Ferner solle man mit der Versorgungssicherheit durch Kernenergie argumentieren. Dabei ließen sich auch "historisch tradierte Ängste vor Rußland" nutzen, von dessen Gaslieferungen Deutschland abhängig ist (daß Gazprom der wichtigste Geschäftspartner von E.ON Ruhrgas ist, scheint in diesem Zusammenhang keine Rolle zu spielen).
Den Schluß des Papiers bildet ein Katalog von Vorschlägen, wie Politiker, Journalisten und die breite Öffentlichkeit beeinflußt werden könnten, um die überwiegend kernkraftkritische Stimmung zu überwinden. Zum einen sind das "klassische Formate" wie Werksbesichtigungen, Tage der Offenen Tür, politische Fachgespräche oder Fachkonferenzen ("Die gezielte und wohl dosierte Einbindung kritischer Stimmen ist dabei unerlässlich"). Dann kommen "etablierte Formate" wie die Jahrestagung Energie des "Handelsblatts", die Fachkonferenzen der Parteistiftungen von CDU und SPD, das Deutsche Atomforum oder das Forum für Zukunftsenergien ("Das Forum ist auf den ersten Blick politisch unabhängig und branchenneutral"). Schließlich folgen noch etliche "neue Formate". Beispielsweise will man unter Einschaltung eines Call-Centers das "öffentliche Meinungsbild durch plebiszitäre Aktionsformen drehen". Im Internet will man durch "Community-Building" der Begeisterung für die Kernenergie aufhelfen und "die junge Generation der Nicht-Gorleben-Sozialisierten" durch eine "Energiewende in der Blogosphäre" ansprechen.
Bei der Musterung der medialen Bataillone, auf die sich E.ON stützen kann, nennen die Autoren "Leitmedien wie die Wirtschaftszeitungen, FAZ-Gruppe oder Welt-Gruppe". Die Argumentation "erneuerbare Energien plus Kernkraft" werde ebenfalls durch Fritz Vahrenholt, Claudia Kemfert oder Norbert Walter vertreten, die in den Medien gern als Energieexperten zitiert werden. Außerdem glauben die Verfasser bei 16 namentlich genannten "Energie-Journalisten der deutschen Leitmedien" die folgenden politischen Präferenzen zu erkennen:
Medium | Energie-Journalist | politische Ausrichtung |
FAZ | Andreas Mihm | schwarz-gelb |
FAZ | Konrad Mrusek | schwarz-gelb |
Wirtschaftswoche | Steffi Augler | schwarz-gelb |
Wirtschaftswoche | Andreas Wildhagen | schwarz-gelb |
Handelsblatt | Klaus Stratmann | schwarz-gelb |
Handelsblatt | Daniel Delhaes | schwarz-gelb |
Welt | Daniel Wetzel | schwarz-grün |
Spiegel | Wolfgang J. Reuter | schwarz-rot |
Spiegel | Frank Dohmen | schwarz-rot |
Financial Times Deutschland | Timm Krägenow | gelb-grün |
Financial Times Deutschland | Olaf Preuß | gelb-grün |
Spiegel online | Anselm Waldermann | rot-grün |
Süddeutsche Zeitung | Michael Bauchmüller | rot-grün |
Süddeutsche Zeitung | Cerstin Gammelin | rot-grün |
Frankfurter Rundschau | Vera Gaserow | grün |
tageszeitung | Nick Reimer | grün |
"Es lohnt sich auf jeden Fall das Papier zu lesen, auch unabhängig von der Atomdebatte mit Blick auf die Denkweise und Lobby-Instrumente", konstatierte die Initiative www.lobbycontrol.de. "Man lernt daraus vermutlich mehr über die Funktionsweise von Politik als in manchen Politik-Lehrbüchern."
Die Berliner "Unternehmensberatung für Politik- und Krisenmanagement" muß inzwischen Krisenmanagement in eigener Sache betreiben: Das Papier sei lediglich eine "Momentaufnahme, in der öffentlich bekannte Positionen zusammengetragen wurden", versicherte sie auf ihrer Internet-Seite. Wenn eine solche "Gedankenskizze" eine Woche vor der Bundestagswahl skandalisiert werde, sei dies nichts weiter als "der durchsichtige Versuch, einen ansonsten themenarmen Wahlkampf zu beleben".