Dezember 2003

031202

ENERGIE-CHRONIK


Italien und Frankreich widersprechen dem Schweizer Bericht zum Stromausfall

Die Regulierungsbehörden Italiens und Frankreichs haben den Bericht des schweizerischen Bundesamts für Energie (BFE) zu den Ursachen des Stromausfalls in Italien (031101) scharf kritisiert und zum Anlaß genommen, dem BFE die Zusammenarbeit aufzukündigen. Die am 6. Oktober angekündigte gemeinsame Untersuchung des Stromausfalls unter Hinzuziehung der skandinavischen Verbundnetzorganisation Nordel als neutraler Instanz scheint damit gegenstandslos geworden zu sein.

Der Bericht des BFE enthalte keinerlei "Beweisführung, die sich auf erwiesene Tatsachen stützen kann", hieß es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der Autorita per l'energia elettrica e il gas (AEEG) und der Commission de regulation de l'energie (CRE) vom 1. Dezember 2003. Das BFE habe seinen Bericht einseitig und ohne vorherige Absprache mit den Partnern veröffentlicht. Die französischen und italienischen Behörden hätten noch immer keine ausreichenden Informationen zu dem "von der Schweiz ausgelösten Stromausfall" ("black out en provenance de Suisse"). Sie hätten deshalb beschlossen, die "unabhängige Untersuchung" ohne das BFE fortzusetzen und dafür erforderliche Auskünfte direkt bei den schweizerischen Stromunternehmen einzuholen.

Im Gegensatz zum BFE, das die grundlegenden Ursachen des Stromausfalls in einem "ungelösten Konflikt" zwischen Handelsinteressen und technischen Voraussetzungen erblickt, bestreiten die  beiden Regulierungsbehörden einen derartigen Konflikt: "Die fehlende Übereinstimmung zwischen Stromhandel und physikalischem Stromfluß berührt in keiner Weise die Sicherheit des Netzbetriebs." Innerhalb des westeuropäischen Verbundnetzes würden sich die Stromflüsse unabhängig von den Handelsgeschäften nach dem Kirchhoffschen Gesetz ausbreiten. Probleme könnten sich erst ergeben, wenn die physikalischen Stromflüsse nicht mit der vorgesehenen Belastung des Netzes übereinstimmen. Und gerade in einer solchen Situation, wie sie am 28. September mit dem Ausfall der 380-kV-Leitung zum Lukmanier-Paß auftrat, hätten es die schweizerischen Netzbetreibern an ausreichender Informationen gegenüber ihren italienischen und französischen Kollegen fehlen lassen.

Die beiden Regulierungsbehörden widersprechen dem BFE ferner darin, daß der Ausfall der Leitung Mettlen-Lavorgno zum Lukmanier und die 24 Minuten später folgende Abschaltung der Leitung von Sils nach Soazza zum San Bernardino ein zusammenhängendes "N minus 2"-Ereignis im Sinne der UCTE-Regeln gewesen sei (bei einer "N minus 2"-Störung wird der Normalzustand des Netzes durch den gleichzeitigen oder annähernd gleichzeitigen Ausfall von zwei wichtigen Netzeinheiten wie Hochspannungsleitungen, Kraftwerke oder Umspannanlagen beeinträchtigt). Vielmehr sei die schweizerische Netzstörung die Folge eines "N minus 1"-Ereignisses gewesen (nach der "N minus 1"-Regel sind die Verbundnetzbetreiber verpflichtet, ihr Netz so auszulegen und zu betreiben, daß der Ausfall einer Netzeinheit die Betriebssicherheit des eigenen Netzes oder andere Netze nicht gefährden kann). Nach den bisherigen Erkenntnissen wäre - so meinen die Regulatoren Italiens und Frankreichs - zur Behebung dieser "N minus 1"-Störung der sofortige Kontakt mit den italienischen und französischen Netzbetreibern nötig gewesen. Die Schweizer Netzbetreiber müßten sich deshalb den Vorwurf gefallen lassen, die UCTE-Regeln nicht hinreichend zu respektieren.

Das BFE zeigte sich "erstaunt" über die Kritik: Man habe alle zur Verfügung stehenden Informationen weitergeleitet und die beiden Regulierungsbehörden frühzeitig über die Erarbeitung eines nationalen Berichts unterrichtet. Die Schlußfolgerung, daß die Diskrepanzen zwischen Handel und physikalischen Stromflüssen die Hauptursache des Stromausfalls sind, werde durch die UCTE bestätigt. Die schweizerische Behörde sei weiterhin bereit, an der Erstellung eines gemeinsamen Berichts mitzuwirken.