"Der Erfolg beruht auf vier Phasen, die ineinander greifen", schreibt die Mannheimer Stadtverwaltung zu diesem Bild aus der laufenden Kampagne CHANGE2. Es handelt sich um eine jener Skizzen aus der Welt der Flipchart-Großmeister und Powerpoint-Virtuosen, die man besser erst gar nicht zu verstehen versucht. Das Bild vermittelt aber zumindest eine gute Vorstellung vom unsäglichen Jargon, mit dem "Change Management"-Berater die ihnen ausgelieferten Belegschaften zu traktieren pflegen. Das englische Imponiergefasel gehört zum Geschäft: Wem trotz "Performing", "Norming", "Forming" und "Storming" am Ende doch bloß das deutsche Wort "Geschwätz" einfallen sollte, ist für die Beratungsbranche hoffnungslos verloren...
Früher gipfelte der lokalpatriotische Stolz der Mannheimer in der Parole "Mannem vorn!". Bekanntlich rührte dieser Spruch daher, daß in den Anfängen des Eisenbahnwesens die von Frankfurt kommenden Züge der Main-Neckar-Bahn in Friedrichsfeld geteilt wurden: Wer nach Heidelberg wollte, wurde abgehängt, während die Passagiere im vorderen Zugteil nach Mannheim weiterfuhren. Der Ruf "Mannem vorn!" war ein Hinweis des Zugpersonals für die Fahrgäste. Die Mannheimer verstanden es jedoch, daraus ein Werturteil zu machen und so den Vorrang ihrer Stadt zumindest gegenüber Heidelberg abzuleiten.
Etwas großmäulig waren sie also schon immer, die Mannheimer. Wenn man das im Hinterkopf hat, kann man vielleicht auch die folgende Presseverlautbarung der Stadt Mannheim verstehen:
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz will Mannheim bis zum Jahr 2013 mit der modernsten Stadtverwaltung Deutschlands ausstatten. Der Weg dorthin wurde mit CHANGE2 – Wandel im Quadrat – überschrieben. Das Team von Dr. Gerhard Mersmann, Leiter der Fachgruppe des Oberbürgermeisters, hat sich bei Barack Obama bedient ("Besser gut geliehen als schlecht erfunden") und hebt damit auch auf die tiefere historische Bedeutung des Begriffes ab, als die Vereinigten Staaten ihre Gesellschaftsordnung vollkommen neu gestalteten. Um`s Gestalten geht es auch in Mannheim.
Der hier zitierte Text bejubelt ein Vorhaben, das man früher als Neu- oder Umorganisation bezeichnet hätte. Also ein internes Stühlerücken. Ein paar Zuständigkeiten und Abläufe werden neu verteilt. Wenn es hoch kommt, wird die Verwaltung tatsächlich etwas bürgerfreundlicher. Schlimmstenfalls ändert sich nur die Farbe von Aktendeckeln. Man hätte davon früher kein großes Aufhebens gemacht. Die Sache wäre mit mehr oder weniger Erfolg durchgezogen worden.
Inzwischen geht so etwas aber nicht mehr ohne viel Gedöns und Anglizismen ab. "Mannem vorn!" hat als sprachliche Kraftmeierei ausgedient. Im denglischen Neu- und Großsprech heißt das nun CHANGE2. Mannheim wird zur "Benchmark für Städte in ganz Europa". Und selbstverständlich hat man auch einen "Masterplan", der "implementiert" wird. Als Ergebnis wird die "modernste Stadtverwaltung Deutschlands" versprochen. Und als Quelle der Inspiration wird kein geringerer als der neue US-Präsident Barack Obama bemüht ("Besser gut geliehen als schlecht erfunden").
Welcher Teufel mag wohl die Stadtverwaltung geritten haben, eine vergleichsweise läppische Neuorganisation großmäulig mit CHANGE zu betiteln und gar explizit "auf die tiefere historische Bedeutung des Begriffes abzuheben, als die Vereinigten Staaten ihre Gesellschaftsordnung vollkommen neu gestalteten". Will sie sich selbst als so unfähig und verderbenbringend wie George W. Bush darstellen? Will sie sich selbst kritisieren? Und wenn ja: Wie will sie sich dann am eigenen Schopf aus dem Schlamassel ziehen?
Nun mag man ja von der Mannheimer Stadtverwaltung halten, was man will. Sicher bietet sie auch Anlaß zur Kritik. Zum Beispiel war es ein absolutes Ärgernis, was der städtische Beamte Rolf Lauter in seinem Wirkungskreis alles veranstalten und verunstalten durfte, bis ihm die Leitung der Kunsthalle endlich entzogen wurde (siehe "Full house in der Mannheimer Kunsthalle"). Aber ein solcher Saustall wie das Weiße Haus unter George W. Bush war die Mannheimer Stadtverwaltung noch nie! Da muß man sie wirklich vor sich selber in Schutz nehmen. Außerdem ist an Rhein und Neckar nirgendwo ein Barack Obama zu sehen. Es ist vielmehr die amtierende Stadtverwaltung mit dem Oberbürgermeister an der Spitze, die sich hier selbst eine Art Frischzellenkur verschreibt.
Wer sich ein bißchen in Management-Moden auskennt, ahnt die wahren Hintergründe: Mit CHANGE2 wurden auf einen denglischen Schelmen anderthalbe gesetzt. Es verhält sich damit so ähnlich wie bei den russischen Matruschkas, wo unter der einen Hülle die andere hervorkommt.
Die ursprüngliche Hülle heißt hier "Change Management" und ist ein ziemlich alter Hut, mit dem Beratungsunternehmen schon seit Jahren hausieren gehen. Man muß sich "Change Management" als eine Art Wunderelixier aus Betriebswirtschaft, Betriebspsychologie und Öffentlichkeitarbeit vorstellen, das angeblich abgeschlaffte Belegschaften wieder auf die Beine bringt, personelle Fettpolster beseitigt und betriebliche Kreisläufe entschlackt. Der tatsächliche Effekt ist aber ungefähr derselbe wie bei Bach-Blüten, Räucherkerzen und den Kräuter-Rezepten der Hildegard von Bingen. Jedenfalls sehen das viele Mittelständler so, die ihren Betrieb tatsächlich noch aus dem Effeff kennen und sich genau überlegen müssen, wo und wie sie ihr Geld sinnvoll ausgeben.
Umso mehr Erfolg haben die "Change Management"-Berater bei Großunternehmen und Verwaltungen. Hier entscheiden nämlich keine Chefs, denen der Laden persönlich gehört und die für Fehlentscheidungen mit dem eigenen Vermögen haften. Hier entscheiden vielmehr hochbezahlte Angestellte, die ihre Karriere hauptsächlich der Fähigkeit zur Selbstdarstellung, Anpassung und Absicherung verdanken. Die betrieblichen Abläufe kennen sie meistens sowieso nicht im Detail. Deshalb sind externe Beratungsunternehmen hochwillkommen. Die eignen sich wunderbar, um Verantwortung zu delegieren, Entscheidungswege zu verschleiern und innerbetriebliche Konflikte abzupuffern. Angeblich sind die externen Berater gerade deshalb besonders kompetent, weil sie von außen kommen. Außerdem machen sie alles "wissenschaftlich". Welcher Betriebs- oder Personalrat kann soviel Neutralität, Objektivität und geballtem Sachverstand widerstehen? Und selbst wenn sich am Ende herausstellen sollte, daß alles nur ein Schuß in den Ofen oder gar ein Schuß ins eigene Bein war, geht das üppige Honorar für die Berater natürlich nicht zu Lasten der Manager-Einkünfte, sondern wird aus der Firmenkasse bezahlt.
Kurzum: "Change Management" ist eine Art Gütesiegel für das, was man auf gut Deutsch als die Neuerfindung des Rades in achteckiger Form, rasenden Stillstand oder Leerlauf im Quadrat bezeichnen könnte. Aber gerade deshalb benennt man die Sache lieber englisch.
Dieses "Change Management" hat nun also auch die Mannheimer Stadtverwaltung erfaßt. Wie sich der bereits erwähnten Pressemappe entnehmen läßt, sind in diesem Fall gleich zwei einschlägige Beratungsunternehmen mit von der Partie, nämlich die Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants und die Kienbaum Management Consultants International. Das eine ist für die "Gesamtstrategie" und das andere für die "Strategische Steuerung" verantwortlich.
Über das Honorar gibt die städtische Pressemitteilung keine Auskunft. Vermutlich ist es so üppig wie die Vorschußlorbeeren, mit denen sich die Auftragnehmer beim Auftraggeber bedanken: "Mit dem modernen Mannheim werden wir ein Benchmark für Städte in ganz Europa setzen", läßt sich der Kienbaum-Vertreter zitieren. "Mannheim ist im Moment so reformfreudig wie wohl keine andere Kommune. Man spürt die extreme Dynamik und den Veränderungswillen, hier ist einfach alles in Bewegung. Da wollten wir von Kienbaum auf jeden Fall dabei sein und unseren Beitrag zu einem modernen und lebenswerten Mannheim leisten."
"Ein Benchmark" - das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen, bevor einem übel wird. Nun wissen wir endlich, daß Im Englischen, das den Substantiven kein Geschlecht zubilligt, in Wirklichkeit alles sächlich ist. Und daß es gar nicht darauf ankommt, ob die deutsche Übersetzung "Meßpunkt" oder "Vergleichsmarke" lautet. "Das Benchmark" muß es heißen, genauso wie "das King" oder "das Queen".
Bei soviel Benchmark-Begeisterung, extremer Dynamik und Veränderungswillen lag es natürlich nahe, gleich von "Change Management im Quadrat" oder kurz CHANGE2 zu sprechen. Und weil gerade US-Wahlkampf war, konnte man das auch noch wunderschön mit dem "Change" in Verbindung bringen, mit dem der neue US-Präsident so erfolgreich seinen Wahlkampf bestritten hatte. – Eine Parole, die nichts versprach, aber alles erhoffen ließ. Genauso wie Obamas berühmtes "Yes, we can", das eigentlich eher nach Viagra-Werbung als nach einem politischen Programm klang.
Inzwischen hat es Obama geschafft. Er muß nun als US-Präsident zeigen, ob und wieweit sich tatsächlich etwas verändert. Seine Wischiwaschi-Parole hat sich aber verselbständigt und ist zum Freiwild geworden. Wie man sieht, wird sie sogar benutzt, um dem "Change Management" im Mannheimer Rathaus so etwas wie weltpolitische Ausstrahlung und den Anschein eines tiefgreifenden Umbruchs zu verleihen.
Das Wort CHANGE ist hier also eine Art ästhetisches Wiesel, das auf einem Kiesel inmitten Bachgeriesel sitzt und das alles nur um des Reimes willen tut. "Um's Gestalten geht es auch in Mannheim." Das ist der Kiesel, auf dem das Wiesel CHANGE Platz nehmen soll, damit sich alles reimt und ein milder Abglanz von Obamas CHANGE auf die Häupter der Mannheimer Stadtoberen fällt. Um dieses Reimes willen wird sogar in Kauf genommen, daß die Stadtverwaltung für so unfähig und brandgefährlich gehalten wird wie das Weiße Haus unter George W. Bush.
Die Texter des Mannheimer Rathauses sind aber keine Dichter vom Range eines Christian Morgenstern. Man merkt es schon an der falschen Rechtschreibung ("Um's Gestalten"). Sie wollen auch nicht geistvoll blödeln, sondern absolut ernst genommen werden. Sie mußten deshalb das Wiesel namens CHANGE tüchtig am Schwanz ziehen, damit es die gewünschte Position einnimmt. Schließlich ist der Vergleich zwischen einem Stühlerücken im Mannheimer Rathaus und dem Ende der Ära Bush in den USA schon absurd genug.
Dabei hätte man das, was derzeit in der Stadtverwaltung als CHANGE2 abläuft, auf Deutsch weit besser beschreiben können. Ludwig Uhland ist in seinem Gedicht "Frühlingsglaube" (1812) der Sache schon ziemlich nahe gekommen, ganz ohne Masterplan, Benchmark, Implementierung und sonstigem denglischen Schnickschnack:
Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.
Zugegeben: Das klingt für heutige Ohren ein bißchen arg lyrisch.
Und kein einziges Wort Denglisch drin! Sagen wir es deshalb in zeitgemäßer
Prosa: YES, WE CAN auch deutsch sprechen!