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Bevor am 15. August 1885 in der Berliner Markgrafenstraße das erste deutsche Kraftwerk der öffentlichen Stromversorgung in Betrieb ging (rechts), musste der Betreiber mit der Stadt einen Konzessionsvertrag abschließen, der ihm im Umkreis von 800 Metern um den Werderschen Markt das Recht zur Benutzung öffentlicher Straßen für die Verlegung elektrischer Leitungen gewährte (links).

Ein "geheimnisvolles Etwas"

Die rechtliche Basis der Stromwirtschaft bis zum Erlass des Energiewirtschaftsgesetzes

Strom ist ein ganz besonderer Saft. Das merkten auch die Juristen, als sie sich vor rund hundert Jahren erstmals bemühten, die Gesetzgebung dem technischen Fortschritt anzupassen. Denn bis dahin konnte der Diebstahl von Elektrizität nicht bestraft werden. Das Strafgesetzbuch kannte nur die rechtswidrige Aneignung einer "Sache". Der Elektronenfluß in einem elektrischen Leiter war aber offensichtlich nicht von dieser handfesten Art, sondern ein "geheimnisvolles Etwas", wie das Reichsgericht in einer Entscheidung vom 1. Mai 1899 befand. Also brauchte man ein besonderes "Gesetz, betreffend die Entziehung elektrischer Arbeit", das am 9. April 1900 im Reichsgesetzblatt verkündet wurde und bis heute im Paragraphen 248 c unseres Strafgesetzbuches fortlebt.

Auch zivilrechtlich gab es ein paar Stolpersteine. So mußte sich das Reichsgericht mit der Frage befassen, ob die Stadtwerke Chemnitz eine "Fabrik" im Sinne des Reichshaftpflichtgesetzes seien, da sie in ihrem Betrieb weder Sachen herstellten noch einer Bearbeitung unterzogen. Im großen und ganzen aber konnten die allerorten entstehenden Elektrizitätswerke mit den bestehenden Gesetzen ganz gut leben. Die auftauchenden Rechtsprobleme wurden auf privatrechtlicher Basis gelöst. Die wichtigste Rolle spielten dabei die sogenannten Konzessionsverträge, mit denen die Städte den privaten Betreibern von Elektrizitätswerken die Benutzung von öffentlichen Straßen, Wegen und sonstigen Grundstücken zum Verlegen ihrer Leitungen erlaubten. Der erste Konzessionsvertrag dieser Art kam 1884 zustande und gestattete es der Deutschen Edison-Gesellschaft (später AEG), die Straßen und Bürgersteige im Umkreis von 800 Metern um den Werderschen Markt für die Verlegung elektrischer Leitungen zu benutzen (siehe Abbildung). Als Gegenleistung erhielt die Stadt Berlin eine Abgabe, die sich nach den Bruttoeinnahmen und dem Reingewinn des Unternehmens richtete.

Dieser erste Konzessionsvertrag war insofern etwas atypisch, als sich die Berliner Stadtverordnetenversammlung geweigert hatte, der Edison-Gesellschaft das ausschließliche Recht zur Verlegung von Leitungen zuzugestehen. Bei späteren Konzessionsverträgen wurde dieses Recht fast immer exklusiv bewilligt, so daß der Konzessionsvertrag den Betreibern von Elektrizitätswerken zugleich ein faktisches Versorgungsmonopol im konzessionierten Bereich gewährte. Allerdings mußten sich die Stromversorger zu einer Reihe von Gegenleistungen verpflichten: So hatten sie, unabhängig von der Ertragslage, den Betrieb des Netzes aufrechtzuerhalten. Bei entsprechendem Bedarf mußten sie das Leitungsnetz erweitern und die Kraftwerkskapazitäten vergrößern. Auf Wunsch hatten sie jedermann mit Strom zu versorgen, der die allgemeinen Versorgungsbedingungen erfüllte. In der Regel behielt sich der Konzessionsgeber auch ein Mitspracherecht bei den verlangten Strompreisen vor sowie die Übernahme des Netzes nach Ablauf der Konzessionsdauer.

Mit dem Zusammenwachsen der Versorgungsnetze und der allmählichen Entstehung eines Hochspannungs-Verbundnetzes widmeten sich neben den Kommunen zunehmend auch die Länder sowie das Reich der Stromversorgung. Zum Beispiel entstand 1921 das Bayernwerk als staatliches Unternehmen zur landesweiten Stromversorgung. Die Reichsregierung kaufte 1917 von der AEG die Elektrowerke AG (Ewag), die den Schwerpunkt der mitteldeutschen Stromerzeugung bildeten. Nach dem Sturz der Monarchie wurde am 31. Dezember 1919 sogar ein "Gesetz betreffend die Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft" erlassen, das freilich nie zur Ausführung gelangte.

Mit dem Hinauswachsen der Stromversorgung über den kommunalen und regionalen Bereich erhielt die politische Diskussion über eine besondere gesetzliche Regelung für die Elektrizitätswirtschaft verstärkten Auftrieb. Die Erzeugung und Verteilung von Strom verlagerten sich zunehmend auf unterschiedliche Unternehmensebenen der Stromwirtschaft. Schon 1935 kamen rund 90 Prozent der gesamten öffentlichen Stromerzeugung aus 140 Mittel- und Großkraftwerken mit mehr als 10 MW Leistung, deren Anteil an der Gesamtzahl der Kraftwerke nur 9 Prozent betrug. Das im selben Jahr erlassene Energiewirtschaftsgesetz war deshalb kein typisches NS-Gesetz, wie mitunter behauptet wird. Es entsprach vielmehr den neuen technisch-wirtschaftlichen Bedingungen. Es enthielt auch keine grundsätzlich neuen Instrumente, sondern kodifizierte, vereinheitlichte und steigerte jene staatlichen Aufsichtsmittel, die bisher über das Wegerecht oder Staatsverträge eingeführt worden waren. Es entsprach damit durchaus dem letztendlichen Ziel, "die Energieversorgung so sicher und billig wie möglich zu gestalten", von dem in der Präambel des Gesetzes die Rede war.

Das 1935 erlassene Energiewirtschaftsgesetz blieb trotz einiger Änderungen bis 1998 im wesentlichen unverändert gültig. Man ging dabei von der Überlegung aus, daß bei Strom und Gas wegen der Leitungsgebundenheit und anderer Besonderheiten dieser Energien der übliche direkte Wettbewerb nicht sinnvoll sei und daß deshalb Stadtwerke, Regionalversorger und Verbundunternehmen über geschlossene Versorgungsgebiete verfügen müßten. Zum Ausgleich unterwarf der Gesetzgeber die Stromversorger einer weitgehenden behördlichen Kontrolle: Beispielsweise mußten sie sich sowohl ihre Preise für Tarifkunden als auch ihre Investitionsvorhaben von der Aufsichtsbehörde genehmigen lassen.

Die Stromversorger sicherten die ihnen zugestandenen Gebietsmonopole auf privatrechtlicher Grundlage mit Verträgen. Der erste Vertragstyp waren exklusive Konzessionsverträge zwischen Gemeinden und Versorgungsunternehmen, mit denen die Nutzung der öffentlichen Straßen und Plätze zum Bau von Versorgungsleitungen nur einem einzigen Stromversorger gestattet wurde. Als Gegenleistung für die Überlassung des Wegerechts bekam die Gemeinde von dem Versorgungsunternehmen eine Konzessionsabgabe.

Die zweite vertragliche Grundlage, auf der die Stromversorger ihre Gebietsmonopole sicherten, waren die Demarkationsverträge. Während die exklusiven Konzessionsverträge dem Stromversorger das Wegerecht auf öffentlichem Grund und damit faktisch das Monopol innerhalb eines bestimmten Versorgungsgebiets gewährten, dienten Demarkationsverträge der Abgrenzung und Aufteilung solcher geschlossenen Versorgungsgebiete unter den Stromversorgern selber. Demarkationen wurden sowohl auf horizontaler Ebene, d.h. zwischen gleichrangigen Unternehmen, als auch auf vertikaler Ebene, d.h. im Verhältnis von Vorlieferant zu Abnehmer, vorgenommen. Durch Demarkationsverträge hatten beispielsweise die acht deutschen Verbundunternehmen, die den größten Teil des Stroms produzierten und das Höchstspannungsnetz für den Stromtransport betrieben, bis zur Liberalisierung des Strommarkts im Jahre 1998 ihre Versorgungsbereiche untereinander abgegrenzt.