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Nach dem Entropiesatz der Thermodynamik strebt Energie innerhalb eines geschlossenen Systems unaufhaltsam und unumkehrbar einem Zustand völliger Verteilung bzw. Dissipation zu. Dieser Zustand wäre auf unserem Planeten längst annähernd erreicht, wenn nicht Tag für Tag die Sonne dazwischenfunken würde, indem sie die Erde mit Energie höherer Wertigkeit versorgt. Tatsächlich stammen fast alle unsere Energie-Ressourcen von der Sonne, ob es sich um Kohle, Öl, Gas, Holz, Wasserkraft, Windkraft oder um die unmittelbare Nutzung der solaren Licht- und Wärmestrahlung handelt. Ausnahmen bilden lediglich die Kernenergie, die Gezeitenenergie und die geothermische Energie.
Dank der Sonneneinstrahlung herrscht an der Erdoberfläche eine mittlere Temperatur von plus 15°C. Bis zum absoluten Nullpunkt bei minus 273,15°C fehlen also fast noch 300°C. Das ist einerseits recht angenehm, weil die Menschheit sonst längst erfroren wäre. Andererseits nützt Energie auf diesem Temperaturniveau gar nichts, weil sich nur die Differenz zwischen geringeren und höheren Zuständen der Entropie nutzen läßt. Zum Beispiel, indem man ein Kraftwerk bauen würde, das die Differenz zwischen der Oberflächentemperatur der Erde und der Kälte des Weltraums nutzt. Oder weniger utopisch: Ein Kraftwerk, das die Temperaturdifferenz zwischen der Oberfläche des Meeres und dem kälteren Wasser am Grund der Ozeane nutzt. Aber auch das läßt sich nur sehr schwer und mit zweifelhaftem Erfolg verwirklichen. In der Praxis wird deshalb das vorhandene Entropie-Gefälle zwischen Energie von höherer und geringerer Wertigkeit mit den bekannten Methoden des Verbrennens von Kohle, Gas, Öl und Holz, durch die Nutzung von Wind- und Wasserkraft oder durch direktes "Anzapfen" der solaren Einstrahlung genutzt. Sobald Energie auf das Temperaturniveau der normalen Umgebung absinkt, kommt sie für eine Nutzung nicht mehr in Frage.
Soweit wäre für die Physiker alles klar. Sie können mit den Hauptsätzen der Thermodynamik ganz gut leben. Nicht so die Techniker: Die wurmt es gewaltig, daß für jene Form der Energie, die sie am meisten interessiert, in diesem physikalischen System kein Begriff vorgesehen ist: nämlich für jene Energieform, die man nun mal braucht, damit das Auto fährt und die Spiegeleier in der Pfanne braten. Der Techniker sieht natürlich ein, daß Energie unter physikalischen Gesichtspunkten weder erzeugt noch verbraucht werden kann. Aber als praktisch denkender Mensch weiß er genau, daß ein Brikett im Ofen unwiderruflich verbrennt und keine Zauberformel den Strom zurückbringt, den eine Glühbirne verbraucht hat. Daß diese Energie nicht vernichtet wurde, sondern vom Zustand geringerer Entropie in einen solchen höherer Entropie überführt wurde - schlichter gesagt: daß sie jetzt irgendwo im allgemeinen Wärmesumpf steckt - tröstet ihn wenig. Für ihn ist sie einfach futsch, das heißt, sie ist nicht mehr nutzbar.
Und deshalb haben die Techniker für jene Form von Energie, die sie am meisten interessiert, eine spezielle Bezeichnung erfunden: Sie lautet "Exergie" und steht für jede Art von Energie, die sich für den Menschen in nützliche Arbeit umsetzen läßt. "Exergie" ist also das, mit dem sich eine Turbine in Schwung bringen, eine Herdplatte erhitzen, eine Wohnung heizen oder sonstige nützliche Arbeit verrichten läßt. Diese Exergie kann auch - im Unterschied zur Energie - tatsächlich verbraucht werden, indem sie zum Teil in eine niederwertigere Energieart umgewandelt wird.
Für den übrigen Teil der Energie haben die Techniker die Bezeichnung "Anergie" geprägt. Sie steht für jene Form von Energie, die sich nicht nutzen läßt oder bei der Energieumwandlung als Abwärme nutzlos verpufft.
Da Energie immer die Summe aus Exergie und Anergie bildet, ergibt sich folgende Gleichung:
Energie = Exergie + Anergie
Der Energietechniker bewertet Energie also unter einem pragmatischen Aspekt: ob sie als Exergie nützliche Arbeit verrichten kann oder ob sie wertlose Anergie darstellt. Er sieht seine Aufgabe darin, die vorhandene Energie mit möglichst hohem Wirkungsgrad - das heißt mit möglichst geringer Anergie - in Exergie zu verwandeln.
Der Exergie-Begriff ist nützlich und notwendig, um Energieformen mit Blick
auf ihre praktische Nutzung bewerten zu können. Wenn man beispielsweise
die elektrische Leistung und die Wärmeabgabe eines Heizkraftwerks - beides
in Kilowattstunden - einfach zusammenrechnet, entsteht leicht der Eindruck,
als ob Strom und Wärme dieselbe Energie-Qualität hätten. In Wirklichkeit
wird aber der Exergie-Gehalt der Wärme vom thermodynamischenWirkungsgrad
begrenzt. Er ist also in der Praxis relativ gering. Dagegen besteht Strom zu
hundert Prozent aus Exergie.