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Nach Beendigung des dreijährigen "Gaskriegs" trieben Ruhrgas (blau) und BASF/Wintershall (rot) den Ausbau ihrer Transportnetze weiter voran. Diese Karte zeigt den Stand im Jahre 1997. |
Bis Oktober 1973 stammte das in der Bundesrepublik Deutschland verbrauchte Erdgas überwiegend aus den Niederlanden und knapp zur Hälfte aus einheimischer Förderung. Dann floß erstmals Erdgas aus Rußland über die tschechische Grenze bei Waidhaus ins Netz der Ruhrgas. Als weiteres wichtiges Lieferland kam 1977 Norwegen und ab 1984 eine kleinere Menge aus Dänemark hinzu. In den folgenden Jahren verdoppelte sich der Anteil der Importe aus Rußland und stieg 1989 auf dreißig Prozent. Der Anteil der inländischen Erzeugung verringerte sich auf etwa ein Fünftel (siehe Grafik).
Die DDR bezog seit 1973 ebenfalls Erdgas aus Rußland. Zuletzt war der Bezug von acht Milliarden Kubikmetern jährlich vereinbart. Dieses russische Erdgas wurde aber größtenteils für industrielle Zwecke verwendet, ebenso ein einheimisches Erdgas-Vorkommen bei Magdeburg, das wegen seines hohen Schwefelgehalts einen erheblich geringeren Brennwert hatte. Während die Haushalte der Bundesrepublik schon Anfang der siebziger Jahre weitgehend auf Erdgas umgestellt waren, kochte der typische DDR-Haushalt weiterhin mit Kokereigas, das aus dem Kombinat "Schwarze Pumpe" bei Schwedt stammte und über das Leitungsnetz der Verbundnetz Gas (VNG) verteilt wurde.
Für den Transport des russischen Erdgases zu den Großabnehmern in der DDR, der über ein eigenes Leitungsnetz erfolgte, war ebenfalls die VNG zuständig. Vertragspartner der russischen Lieferanten war aber nicht sie, sondern die DDR-Regierung. Als die DDR zusammenbrach und im Oktober 1990 mit dem Beitritt zur Bundesrepublik ihre eigene staatliche Existenz aufgab, verschwand deshalb auch der bisherige Vertragspartner für die Lieferung von insgesamt acht Milliarden Kubikmeter Erdgas.
Zunächst schien es nur eine Formsache zu sein, die VNG anstelle der DDR-Regierung in die Lieferverträge eintreten zu lassen. Wie die anderen ehemals "volkseigenen" Betriebe war die VNG zum 1. März 1990 von der vorletzten DDR-Regierung unter Hans Modrow einer Treuhandanstalt übereignet worden, die nach dem Zusammenschluß der beiden Staaten in die Zuständigkeit des Bundesfinanzministeriums überging und in dessen Auftrag diese Betriebe privatisierte. Die Ruhrgas AG als das mit Abstand führende westdeutsche Ferngasunternehmen hatte bereits den Fuß in der Tür, um zumindest soviele dieser Anteile zu übernehmen, daß sie künftig bei der VNG das Sagen haben würde.
Da trat plötzlich ein Rivale auf den Plan, den man bisher nur als Großverbraucher von Gas kannte, nämlich der Chemiekonzern BASF. Dieser war schon seit längerem unzufrieden mit den Preisen, die ihm die Ruhrgas mangels Konkurrenz praktisch diktieren konnte. Über die ihm gehörende Bergbaugesellschaft Wintershall AG war er zwar an der einheimischen Erdgas-Förderung beteiligt, doch reichte das nicht aus, um seinen Bedarf zu decken.
Schon vor dem Zusammenbruch der DDR hatte die BASF den Bau einer eigenen Pipeline von Ludwigshafen bis nach Emden erwogen, um sich direkt aus der dort anlandenden Pipeline "Norpipe" mit Gas aus Norwegen versorgen zu können. Die norwegischen Gas-Lieferanten sollen aber abgewunken haben, weil sie ihr Verhältnis zur Ruhrgas nicht belasten wollten. Denn es ging schon damals nicht nur um die Versorgung der BASF, sondern um den Aufbau eines neuen Erdgas-Importstrangs quer durch Deutschland, mit dem die BASF in Konkurrenz zur Ruhrgas treten und auch andere Abnehmer beliefern konnte.
Durch den Umbruch im Osten eröffneten sich der BASF andere und lohnendere Perspektiven. Sie schloß nun ein Bündnis mit dem russischen Gasexporteur Gazprom, der schon bisher der wichtigte Lieferant der Ruhrgas war. Anders als die Norweger scheuten die Russen nicht vor einer Belastung ihres Verhältnisse zur Ruhrgas zurück. Sie versprachen sich vielmehr Vorteile davon, in Deutschland zwei Geschäftspartner zu haben, die gegeneinander ausgespielt werden konnten.
So kam es am 26. September 1990 zu einem ersten Vertrag, in dem die BASF-Tochter Wintershall und Gazprom ihre gaswirtschaftliche Zusammenarbeit vereinbarten. Am 9. November folgte die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens Wintershall Erdgas Handelshaus GmbH (WIEH), an dem Winterhall die knappe Mehrheit und Gazprom den Rest hielt. Am 27. November schloß dieses neue Gemeinschaftsunternehmen mit Gazprom einen Liefervertrag über 5,9 Mrd. Kubikmeter Erdgas für 1991 zur Versorgung der neuen Bundesländer auf dem Territorium der früheren DDR.
Selbstbewußt verlangte die BASF-Tochter Wintershall nun auch von der Treuhand, mit 25,1 Prozent an der VNG beteiligt zu werden. Der Ruhrgas gelang es aber, den von ihr beantragten 35-Prozent-Anteil ungeschmälert zu erhalten. Weitere zehn Prozent erhielt die BEB Erdgas und Erdöl GmbH, der die Ruhrgas zu einem Viertel gehörte, so daß diese faktisch über 45 Prozent verfügte. Für Wintershall blieben nur 15 Prozent und für Gazprom fünf Prozent übrig. Der Rest aus kommunalen Anteilseigner hatten sich den Erwerb seiner Beteiligungen von der Ruhrgas vorfinanzieren lassen und war deshalb dieser verpflichtet. Praktisch hatte also die Ruhrgas bei VNG das Sagen, obwohl sie vorläufig nicht einmal in der Lage war, aus ihrem eigenen Netz in das der VNG einzuspeisen. Die Vertreter des einzigen Lieferanten verfügten dagegen nicht einmal über die Sperrminorität.
Vor diesem Hintergrund entbrannte im Oktober 1991 ein offen ausgetragener "Gaskrieg" zwischen BASF und Ruhrgas. Das deutsch-russische Gemeinschaftsunternehmen WIEH verfügte zwar kaum über Einfluß bei der VNG, konnte aber Preise und Mengen des von der VNG bezogenen Erdgases bestimmen. Von diesem Hebel machte WIEH nun Gebrauch und erhöhte der VNG die Preise. Und als die VNG nicht bezahlen wollte, verringerte sie kurzerhand ihre Gaslieferungen, so daß die VNG zur Sicherstellung der Versorgung ihre Untertagespeicher anzapfen mußte. In den östlichen Bundesländern zeichnete sich damit die Gefahr einer Erdgas-Versorgungskrise ab, denn irgendwann würden die Speicher leer sein.
Anfang Dezember 1990 verschärfte WIEH den Druck auf VNG mit der Ankündigung, die Lieferungen zum Jahresende ganz einzustellen, falls die VNG nicht den geforderten Preis zahle. Die VNG bzw. die Ruhrgas antworteten mit einer Anzeigenkampagne in Gestalt eines "Offenen Briefs" an die Vorstände von BASF und Wintershall. Darin wurden der WIEH unvertretbare Preisforderungen vorgeworfen und "schwere Versorgungsstörungen in Ostdeutschland" vorausgesagt, falls die WIEH bei ihrer Haltung bleibe. "Wir werden deshalb die Bundesregierung bitten, die für solche Notsituationen vorgesehene öffentliche Notlastverteilung einzurichten", hieß es in dem Offenen Brief.
Noch vor Weihnachten zeichnete sich dann eine Entspannung der verhärteten Fronten ab. Die Basis bildete ein Schlichtungsvorschlag des Bundeskartellamts, wonach die VNG bestimmte Aufschläge auf den alten Erdgas-Preis akzeptiert und für die bereits gelieferten Mengen eine Pauschalnachzahlung leistet. Der endgültige Preis für das Erdgas aus Rußland sollte zu einem späteren Zeitpunkt in einem Schiedsverfahren festgelegt werden. Ferner wurde entschieden, daß nicht die Ruhrgas AG, sondern die Bayerische Landesbank die Vorfinanzierung der VNG-Anteile übernimmt, die von der Treuhand den ostdeutschen Kommunen zugestanden worden sind.
Die Einigung war indessen mehr ein Waffenstillstand als ein Friedensschluß. Auf beiden Seiten rüstete man für die nächste Kraftprobe. Die Ruhrgas-Miteigentümerin BEB baute an einer 165 Kilometer langen Pipeline, mit der noch vor dem nächsten Winter das ostdeutsche VNG-Netz an die Leitungen der Ruhrgas angeschlossen werden sollte. Die WIEH trieb seit Oktober 1991den Bau einer 320 Kilometer langen Transportleitung voran, die als "Sächsisch-Thüringische Erdgas-Leitung" (Stegal) die Verbindung vom VNG-Netz zur Erdgas-Übergabestation an der Olbernhau an der Grenze zu Tschechien herstellen sollte. Außerdem begann sie im Mai 1992 mit dem Bau einer weiteren Transportleitung, die als "Mittel-Deutschland-Anbindungs-Leitung" (Midal) über 700 Kilometer von Südddeutschland bis an die Nordsee führen sollte und bereits den früheren Planungen für den Import von norwegischem Erdgas zugrunde gelegen hatte.
Ende Januar 1992 teilte der russische Vizepremier Gaidar dem deutschen Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann mit, daß die VNG nicht damit rechnen könne, nach dem 1. März weiter mit Gas beliefert zu werden. Möllemann war nach Moskau gereist, um eine gemeinsame Konferenz mit den Russen vorzubereiten. Bei der anschließenden Sitzung des deutsch-russischen Kooperationsrats am 18. Februar in Bonn stand deshalb auch dieses Problem auf der Tagesordnung. Beide Seiten einigten sich auf die vorläufige Fortsetzung der Lieferungen im laufenden Jahr. Über den Preis für die Lieferungen wurde Stillschweigen vereinbart, und auch sonst blieb vieles unklar.
Anfang 1994 brach der Gas-Streit zwischen Ruhrgas und BASF erneut aus. Die WIEH kündigte die Einstellung der russischen Erdgaslieferungen zum 20. Januar an, weil sich die VNG bei den Preisverhandlungen völlig unnachgiebig gezeigt habe. Die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen liege allein bei der VNG, die seit September 1992 über die westliche Anbindung an das Ruhrgas-Netz verfügte und es sich deshalb leisten könne, selbst günstige Angebote für russisches Erdgas auszuschlagen. Die VNG beteuerte dagegen, daß die West-Anbindung keinen ausreichenden Ersatz gewährleiste und deshalb ein Lieferstop die Gasversorgung der neuen Bundesländer gefährden würde.
Auch dieser Streit wurde auf politischer Ebene beigelegt. Das Bundeswirtschaftsministerium richtete ein Schreiben an das russische Außenministerium, in dem es den angekündigten Lieferstop durch Gazprom als "eklatanten Vertragsverstoß" bezeichnete. Die Kontrahenten einigten sich schließlich kurz vor dem angekündigten Lieferstop am 19. Januar bei geheimen Verhandlungen in Moskau auf einen Kompromiß. Der neue Preis war dem Vernehmen nach höher als derjenige, auf den sich beide Seiten nach dem ersten Gas-Streit am 18. Februar 1992 in Bonn geeinigt hatten.
Damit war der dreijährige "Gaskrieg" zwischen BASF und Ruhrgas beendet. Anfang Februar 1994 unterzeichneten WIEH und VNG einen langfristigen Liefervertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren. Die VNG verpflichtete sich darin von 1994 bis 1998 zum Bezug von jährlich 3,5 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas. Ab 1999 erhöhte sich die Bezugsmenge auf 7 Milliarden Kubikmeter. Zusätzlich grenzten sie ihre jeweiligen Interessensphären durch Abschluß eines Demarkationsvertrages ab.